Ein Marathon daheim

So wie es derzeit aussieht wird es erneut ein anderes Jahr. Ein weiteres ohne Training in der Gruppe, ohne Wettkämpfe, dafür mit umso mehr Abstand. Komischerweise hat mich erst die Absage des Osterlaufs vor ca. drei Wochen getroffen. Im Anschluss daran war ich müde. Nicht körperlich – da bin ich nach einem abwechslungsreichen Arbeitstag und fordernden Laufeinheiten gerne erschöpft. Sondern viel mehr im Kopf. Lange Zeit war ich scheinbar resistent dagegen, vielleicht auch wegen der etwas anderen Ziele im letzten Jahr. Den Winter über hatte ich aber die (vielleicht naive) Hoffnung, in einem gewissen Rahmen ab Ostern endlich wieder einmal eine Startnummer ans Trikot anheften zu dürfen. Mit der Absage des Osterlaufs war die Motivation für die härteren Einheiten wie verpufft. Zuletzt war ich noch auf der Spiridon-Bahn schöne Intervalle gelaufen, jetzt fehlt dafür der Antrieb.

Natürlich machen gerade solche Einheiten auch Spaß! Schnell zu laufen ist immer auch ein sehr gutes Gefühl. Dennoch braucht es dafür nicht nur zeitlichen Aufwand, sondern auch die richtige mentale Einstellung. Und die fehlt mir derzeit so ohne richtiges Ziel.

Voll im Trend

Mütent ist das Trendwort, was den Nagel auf den Kopf trifft: eine Mischung aus wütend und müde. Wütend deshalb, weil es immer noch Querdenker-Demos gibt und Nasen, die über Masken herauslugen. Wie schwer kann es eigentlich sein? Mit jedem Tag sinkt mein Anspruch von gesundem Menschenverstand anderer.

Natürlich könnte ich jede Möglichkeit wahrnehmen, um zu rennen. Zuletzt in Dresden beispielsweise, oder Ende April beim Marathon in Bernöwe. Dort gibt es sogenannte Elitefelder mit überschaubarer Teilnehmerzahl. Schon vor einem Jahr war aber klar, dass wir es mit mehr zu tun haben als mit einem verkappten Grippevirus. Auch mit Schnelltests, die am Tag selbst negativ sind, bleibt ein Restrisiko, das mir derzeit ein Wettkampf nicht wert ist.

Mit Blick aufs Positive

Klar ist aber genauso, dass es uns trotz der verrückten Zeiten sehr gut geht. Ich habe das Glück, von zu Hause aus arbeiten zu können und zu dürfen. Irgendwann wird es auch für uns die Möglichkeit geben, sich endlich impfen zu lassen. Und wir können laufen und radfahren, brauchen dafür keinen Ball, keine Halle oder Schwimmbad. Das Abenteuer liegt direkt vor unserer Haustür, wir müssen nur die Schuhe schnüren, schon kann es losgehen.

Früher, beim Wasserlauf in Seligenstadt Anfang April 2019

Genauso habe ich es am Freitag gemacht. Am Feiertag wollte ich mal wieder nach Seligenstadt. 16 km sind es bis dorthin etwa. Statt dann aber umzudrehen, lief ich einfach ein wenig weiter am Main entlang.

Schon bis nach Seligenstadt gab es einiges zu sehen. Nach und nach verändert sich unsere Heimat. Stürme und neue Bauprojekte sind am auffälligsten, herzerwärmender sind jedoch Knospen und Blumen am Wegesrand. In Seligenstadt selbst gab es dann für mich jedoch kein Eis, sondern nur einen Schluck aus der Trinkflasche, die ich dabeihatte. Dann ging es hinunter an den Main, wo ich mich natürlich an die letzten Läufe erinnerte. Schon im letzten Jahr musste die Veranstaltung abgesagt werden, 2018 und 2019 konnte ich hier aber den 25 km Lauf gewinnen.

So lief ich dann siebeneinhalb Kilometer am Main entlang und vor mich hin. In Hainstadt dann bog ich zur Alten Fasanerie ab und von dort an Obertshausen vorbei zurück nach Hause. Wie zuvor am Main und in Seligenstadt selbst war ich auch dort schon sehr lange nicht mehr.

Der Marathon zu Hause ist das Abenteuer vor der Haustür

Die Heimat neu zu entdecken ist in gewisser Weise ebenso zum Trend geworden. Auf einer 40-km-Tour kann man so einiges entdecken, auch mit dem Fahrrad. Am darauffolgenden Tag fuhr ich die gleiche Distanz wie an diesem Marathonfreitag mit dem Rad, wobei mir Martin wieder ganz neue Ecken zeigte. Auch die FKTs im letzten Jahr waren im Grunde das gleiche: man muss nicht weit weg fahren, um Abenteuer zu erleben. Bis in meine gewohnten Laufgefilde standen schon 36 km auf der Uhr, erst dann wurden die Beine schwer.

Bis zu Hause waren es dann 43 km. Etwas außergewöhnlich und deshalb etwas Besonderes. Ein Abenteuer eben. So werde ich wohl die nächsten Monate weitermachen. Ohne spezifische Intervalle auf der Bahn, dafür mit neuen Entdeckungen. Mal nah, mal fern.