Die innere (Un)Ruhe

1c_Bucket ListAls Zivilisationskrankheiten werden unter anderem Karies, Herz- und Gefäßkrankheiten, Essstörungen und Adipositas bezeichnet. Die Ursachen dafür seien vielschichtig, die Summe verschiedener Faktoren wie Zucker, Fehlernährung, Bewegungsmangel oder auch Stress.
Eine wird dabei aber stets vergessen, finde ich: In der Liste der Zivilationskrankheiten fehlt die innere Unruhe. In einer Zeit, in der stets alles schnell gehen muss, jeder immer und überall erreichbar ist und von Ruhe zwar viel gesprochen, diese aber nie vorhanden ist, wird uns viel zu schnell langweilig.

Stellt euch eine Almhütte in den Bergen vor, auf einer grünen Wiese, mit zwei Tannen und drei weißen Berggipfeln im Hintergrund, mit warmen Sonnenstrahlen beschienen. Immer mit dabei, in diesem gedanklichen Bild: Eine Frau oder ein Mann, der oder die auf der Bank davor sitzt und nichts tut. Einfach so, und in sich ruht. Für jüngere Generationen einfach unvorstellbar – es wäre langweilig.
Nichts scheint schlimmer zu sein, als nichts zu tun zu haben, ohne Ablenkung zu sein, mit seinen Gedanken alleine. Stets wird das Smartphone gezückt, etwas gelesen. Sich durchgängig abgelenkt. Auch von sich selbst.

Deswegen wird das Laufen auch teilweise als langweilig bezeichnet. Denn wer läuft, und dabei etwa Kopfhörer etc weglässt, ist zwangsläufig mit seinen Gedanken allein. Wertvolle Zeit! Die wir uns sonst kaum mehr gönnen – und gönnen wollen.
So zeigte etwa eine US-Studie (Wilson et al., 2014), dass sich Menschen lieber selbst Stromstöße verpassen, als mit ihren Gedanken allein sein zu müssen. Der „Zustand des inneren Sinnierens“ scheint für viele unbekannt. Allein sechs bis 15 Minuten ohne Ablenkung – pures „Gedankennachhängen“ – konnte von freiwilligen Probanden nicht genossen werden.
Doch davon nicht genug! In einem Folgeexperiment konnten sich die Probanden, wenn ihnen die 15-minütige Denkzeit zu lang wurde, selbst einen Elektroschock verpassen, der vorher durchweg als unangenehm empfunden wurde. Zwölf von 18 Männern und sechs von 24 Frauen griffen zum Schocker! Selbst unangenehme Aktivitäten scheinen – für manche – lieber zu sein als gar keine.

Muss das Träumen und Fantasieren, das uns beispielsweise laut Timothy Wilson von anderen Lebensarten unterscheide, heutzutage erst durch Meditation erlernt werden? Laut einer Studie von Tania Singer (Kupferschmidt, 2013) zeigen sich durch regelmäßige Meditation deutliche Veränderungen in der Hirnstruktur. So wird die graue Substanz an der Amygdala (Verarbeitung von Stress und Angst) weniger, dafür im Hippocampus (Selbstwahrnehmung und Mitgefühl) dichter. Außerdem sind Forscher aus Gießen überzeugt, dass Meditation das Altern des Gehirns verlangsamt. Auch Ulrich Bauhofer (welt.de, 05.08.2013) sieht nur zwei Wege, mit Stress umzugehen: Meditation oder regelmäßige Bewegung.

Dafür ist Laufen doch ideal! Das Schweifenlassen der Gedanken im stetigen Rhythmus der Schritte. Laufen kann wie Meditation sein, mit dem zusätzlichen Vorteil der zusätzlichen körperlichen Aktivität. Nicht immer, aber manchmal. Und mit der Zeit immer öfter.

Laufen ist wichtig, laufen hilft!

 

Quellen:
Kupferschmidt, K.; 2013. Concentrating on Kindness. Science 20 September 2013: Vol. 341 no. 6152 pp. 1336-1339
welt.de, 05.08.2013. URL: http://www.welt.de/gesundheit/article118687558/Mit-diesen-fuenf-Tricks-werden-Sie-100-Jahre-alt.html
Wilson, T. D.; Reinhard, D. A.; Westgate, E. C.; Gilbert, D. T.; Ellerbeck, N.; Hahn, C.; Brown, C. L.; Shaked, A.; 2014. Just think: The challenges of the disenganged mind. Science 4 July 2014: Vol. 345 no. 6192 pp. 75-77

5 Kommentare

  1. Hallo Markus!

    Guter Artikel! Mein Kopf war aber nur wunderbar rege bei langen langsamen Läufen. Beim Bahntraining war ich zu viel mit Sekunden, Rechnen, Tempo halten, etc. beschäftigt. Also alles andere als schweifende Gedanken.

    Wir laufen zwar nicht um die Welt, aber wir wandern etliche Kilometer. Dabei hängen wir viel unseren Gedanken nach und genießen die Geräusche der Natur oder auch deren Ruhe. Wunderbar kann ich dazu nur sagen und eine geistige/kreative Bereicherung. Ganz zu schweigen davon, dass während der Zeit des Wanderns der Alltag reduziert ist auf: essen, wandern, schlafen. So herrlich einfach.

    Was ich allerdings beim Wandern festgestellt habe – gerade in Neuseeland, wo sehr viele 18 – 20-jährige unterwegs sind – ist, dass viele mittlerweile mit Kopfhörern unterwegs sind. Ich verstehe nicht warum, denn Musik oder den Podcast oder was auch immer kann ich auch zu Hause hören. Aber die Geräusche der Natur oder, das Geräusche, welches auf ein mögliches interessantes Tier hinweist kann ich nicht wahrnehmen, wenn ich Kopfhörer trage.

    @Patrick Ich stelle eine Gegenfrage: wie lange kann es sich die Gesellschaft noch leisten nicht auszubrechen? Wann wird Burnout zur Volkskrankheit Nummer 1?

    Es gibt noch etwas, dass wir seit 1,5 Jahren sehr schätzen und wahrscheinlich die meisten nicht mehr in ihrem Leben kennen: so oft es geht ohne Wecker zu erwachen, eben dann wenn der Körper meint es ist Zeit aufzustehen. Herrlich kann ich dazu nur sagen.

    Falls es den ein oder anderen Leser von Laufenhilft.de interessiert: Gedanken oder Zwischenfazits zu unserer Weltreise, die sich mit ähnlichen Sachen wie Markus‘ Artikel beschäftigen, könnt ihr auf unserem Blog lesen.

    Viele Grüße

    Thomas

    1. Hallo Thomas,
      das stimmt. Zum Schweifenlassen der Gedanken eignen sich keine Tempoläufe.
      Und so sehr ihr beide mit dem Ausbruch auch auf offene Ohren stoßt finde ich die Regelmäßigkeit wichtiger. Dauerhaft fünf mal die Woche locker laufen ist besser als ein Jahr Auszeit, um danach doch wieder alles so zu machen wie vorher.
      Viele Grüße in die weite Welt
      Markus

      1. Hallo Markus!

        Ein Jahr Auszeit verändert, so dass man danach nicht wieder alles so macht wie vorher. Ich habe nunmehr Einstellungen, die ich vor unserer Auszeit nicht hatte. Ebenso trifft dies auf Manu zu. Wir werden beide sehen/erleben wie sich diese entwickeln. Ich bin gespannt 🙂

        Man schreibt sich

        Thomas

        1. Hi Thomas,

          dann müsste man aber Auszeit etwas genauer definieren. Eure ist etwas anders als die, die sich die meisten nach einem Burnout nehmen.

          Auch aus der Ferne sind Eure Reisen faszinierend!

          Markus

  2. Oh ja! Da gebe ich Dir vollkommen Recht, allerdings kommt das wirklich in der heutigen Zeit alles viel zu kurz. Wie gerne würde ich einfach mal ausbrechen. Für ein halbes, für ein ganzes Jahr. Mal weg von der Schnelligkeit im Alltag. Aber wer kann sich das schon leisten?

    Darum liebe ich auch die LongJogs, mal ist mal für sich alleine. Auf einer (meist) einsamen Strecke im Wald, an der Isar oder in den Bergen. Ich kann auch nicht mehr ohne, denn das brauche ich auch einfach um mal abzuschalten.

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