„Ein Fluss, zwei Länder, drei Gipfel, vier Dörfer und fünf Täler.“ Das Wispertal lockt mich schon länger, seit ich immer mal wieder herrliche Bilder auf den sozialen Netzwerken zu sehen bekomme. Dort locken Fernsichten und urwüchsige Wälder mit offenkundig malerischen Pfaden. Entsprechend hatten Johannes und ich nach unserem Klostersteig-Abenteuer einen gemeinsamen FKT-Versuch auf dem Wispertaunussteig nach unserem Urlaub ausgemacht.
Johannes hatte inzwischen eine neue Bestzeit beim Wasserkuppenrundweg aufgestellt, ich halte die aktuelle FKT auf dem Kleinen Mainzer Höhenweg. Jetzt wurde es wieder Zeit für einen gemeinsamen Lauf. Und diesmal würden wir sogar zu dritt sein: unser Vereinskamerad Robert, mit dem ich im letzten Jahr einige starke Trainings für den Frankfurt Marathon durchziehen konnte und mit dem ich die erste Hälfte des Hugenottenlaufs lief, wollte auch dabei sein. Da hatten wir natürlich nichts dagegen, die einfache Formel für lange Läufe heißt: je mehr Läufer/innen, desto besser!
Organisation ist alles
Rundkurse sind eindeutig leichter zu organisieren als Punkt-zu-Punkt-Strecken. Beim Klostersteig hatten wir schon an der Ideallösung getüftelt, nach Mainz unterstützte mich Svenja als Fahrdienst. Dieses Mal trafen wir uns mit Robert am Ziel in Lorch, ließen ein Auto dort stehen und fuhren mit dem anderen zum Start in Kemel. Von dort wollten wir dann den Wispertaunussteig laufen, um dann mit dem ersten Auto wiederum zum Start zu fahren, um das zweite abzuholen. Uff!
Ganz wichtig: Auto ausstatten! Denn für die Distanz von 44 km braucht es nicht nur Wasser und Riegel bzw. Gels für unterwegs, sondern auch Verpflegung bei der Ankunft. Durch Leckereien lässt sich die Vorfreude auf das Ziel noch weiter steigern. Im Auto in Lorch stapelten sich deshalb Wasser, Cola, Riegel, Kekse, Salzgebäck, Obst und Handtücher.
Das Abenteuer Wispertaunussteig kann beginnen
So weit, so gut. Durch die ganze Fahrerei kamen wir allerdings erst später los, als im Sommer vielleicht ratsam wäre. Gegen 9 Uhr trafen wir also voller Vorfreude in Kemel nahe der Wisperquelle ein, eine berauschende Strecke erwartend. Schließlich ist der Wispertaunussteig nicht nur vom Deutschen Wanderinstitut mit dem Premiumsiegel versehen, sondern verbindet auch die beiden UNESCO-Welterben Obergermanisch-Raetischer Limes und Oberes Mittelrheintal. Das Wetter spielte mit, erst später wurde es schwül.
Noch kurz den Kaffee wegbringen und ein Bild vor dem Start, dann konnte es losgehen. 44 trailige Kilometer erwarteten uns:
Der Wispertaunussteig: ein Marathon für die Sinne
…und für alle, die aufs Ganze gehen wollen. So wird der Wispertaunussteig auf der Wanderseite der Wisper Trails beworben. Ausdrücklich genannt werden die Highlights
- Idyllischer Wispersee
- Schroffe Felskanzeln mit großartigen Ausblicken
- Spannende Pfadabschnitte
- Tief eingeschnittene Kerbtäler
- Grandioses Panorama am Naturschutzgebiet Nollig
Na dann: los geht’s!
Auf zu einer neuen FKT!
Den Lauf der Wisper begleitend starteten wir also unseren FKT-Versuch auf dem Wispertaunussteig. Zu Beginn ging es auf den ersten 10 km fast ausschließlich bergab, mal über Waldpfade, mal über Wiesenwege, mal über Wurzeln und Brücken. Die Stimmung war gut und wir ließen es recht gemütlich angehen, schließlich würden wir einige Stunden unterwegs sein.
Zusätzlich dazu, dass insbesondere die erste Hälfte des Wispertaunussteigs wirklich sehr schön ist – an dieser Stelle auch die ausdrückliche Empfehlung, dort einmal zu laufen oder wandern! – ist der Steig auch sehr gut ausgeschildert. Auf den ganzen 44 km der Route verliefen wir uns nur zwei Mal: einmal kurz nach der Streckenhälfte, als wir unkonzentriert an einer Steigung vorbeiliefen, einmal ganz am Ende in Lorch. Dann war es gut, die Strecke auch auf der Uhr zu haben, die Streckenpaten der Wispertrails leisten aber hervorragende Arbeit!
Der erste markante Wegpunkt war der malerische Wispersee, an dessen Ufer wir nach wenigen Kilometern entlangliefen. Danach ging es weiter durch den Wald. Noch plauderten wir ausgiebig, die steilen Anstiege folgten später. Auch war ich quasi durchgängig am Futtern – ich hatte wieder Clif-Riegel, -Gels und -Bloks dabei – um bis zum Ende Energie zu haben. Als hervorragend geeignet befanden Johannes und ich unsere neuen Hosen T8 Sherpa von Sporthunger, deren Bund zwar ungewohnt hoch ist, sich dort aber alles wunderbar verstauen lässt, was man unterwegs so braucht. Johannes lief gar komplett ohne Laufrucksack.
Immer wieder gab es richtige Trailpassagen. Mal führten die schmalen Pfade nur um Parkplätze herum, mal ging es auch länger über diese herrlichen Abschnitte über die Wisper und an Hängen entlang.
Die Wisper-Trails sind ein Wanderparadies
Es war nicht so, wie beispielsweise auf dem Klostersteig, wo wir völlig allein waren, sondern trafen immer wieder auf andere Wanderer. Neben dem Wispertaunussteig gibt es im Wispertal noch viele weitere ausgeschilderte Routen, die wir mit unserer langen Tour ab und an streiften.
Mittlerweile liefen wir durch die Naurother Schweiz, durch die wieder einer dieser traumhaften Pfade über einen mit Kiefern und Krüppeleichen bewachsenen Felsenrücken verlief, dann erreichten wir den Wisper-Canyon, die engste und am tiefsten eingekerbte Passage der Wisper. Und dann – die ersten 10 km waren im Nu gelaufen, ging es los mit den Anstiegen. Der Wispertaunussteig ist eigentlich nie (in Summe gibt es Ausnahmen von vielleicht 1 km) flach. Den Beginn machte der lange Anstieg zum Geroldsteiner Tor. Dann führt der Steig zum Dickschieder Fenster und wieder hinab ins Mehrbachtal. Am Wisper Thron geht es hinauf zur Spitzley, einem markanten Schieferrücken. Auch hier gefiel es mir sehr gut. Die schroffen Felsen und der steinige Untergrund erinnerten mich an den Bayrischen Wald, teilweise sogar an die Alpen. Es war wirklich ein Marathon für die Sinne, ein Kurzurlaub auf vier Stunden komprimiert.
Espenschied halbiert den Wispertaunussteig
Schon hatten wir dann Espenschied erreicht. Hier endet die erste der beiden Etappen, in die der Wispertaunussteig halbiert wird. Wer nach einem Wanderabenteuer sucht, könnte hier übernachten und die zweite Hälfte am Folgetag in Angriff nehmen. Wir liefen recht flugs durch schmale Gassen, über den Wanderparkplatz und dann auf einem schmalen Wiesenpfad, schon hatten wir Espenschied durchquert. Stimmung und Befinden waren nach wie vor blendend.
Weiter im Auf und Ab ging es mit einem steilen Pfad hinab zum historischen Werkerbrunnen, wo im 18. Jahrhundert heilendes Quellwasser in Tonflaschen verkauft wurde. Noch heute kann man die Reste zerbrochener Tonflaschen finden. Vielleicht suchen wir beim nächsten Mal.
Mit Schwung nahmen wir die Trittsteine über den Werkerbach, kurz hielten wir an, um Kopf und Nacken mit Wisperwasser zu erfrischen. Dann folgte das „Filetstück der zweiten Etappe“, wie es bei der Wisper-Trail-Beschreibung genannt wurde: den pfadigen Aufstieg zu einem alten Blidenplatz, von wo aus im 12. Jahrhundert Grenzposten des Rheingauer Gebücks belagert wurden, fand ich allerdings nicht sonderlich angenehm. Der steile Pfad zum Werkerkopf war von Dornen, Brennnesseln und zum Glück uninteressierten Hornissen gesäumt, die zwei Wanderer, die sich gerade den selben Weg hinaufwuchteten, ließen uns ins Dickicht ausweichend zum Glück passieren, sonst hätten wir nicht vorbei gekonnt. Wir tauschten nette Worte und wünschten weiterhin viel Spaß.
Robert konnte gar diesem Stück etwas Positives abgewinnen: je steiler es sei, desto weniger brauche man ein schlechtes Gewissen zu haben, in den Wanderschritt zu wechseln. Die langen flacheren Steigungen fand er zermürbender.
Manchmal kann man fliegen, manchmal geht gar nichts mehr.
Oben auf dem nächsten Bergrücken merkte ich, wie absolut nassgeschwitzt ich war. Mein Leibchen war durchweicht, selbst meine Hose tropfte. Aus der anfänglichen angenehmen Morgenkühle war ein schwüler Tag geworden. Der leichte Wind, dem wir mit ausgebreiteten Armen entgegenliefen, sorgte für angenehme Kühlung. Entsprechend hätte ich allerdings deutlich mehr zu trinken mitnehmen sollen. Meine Flasche war schon fast leer, nach 30 km merkte ich bereits, wie Durst aufkam – ein schlechtes Zeichen. Ich hätte mir einen Brunnen oder eine weitere Wisperquerung gewünscht, beides gab es aber bis zum Schluss nicht mehr.
„Sometimes you fly, sometimes you bonk.”
Von Ransel liefen wir jetzt hinab nach Sauerthal, von wo aus wir auf die imposante Sauerburg blickten. Noch waren wir gut unterwegs, der letzte Anstieg zur Hochebene mit atemberaubendem Blick über das Rheintal im Naturschutzgebiet Nollig zog mir dann aber den Stecker: ich konnte einfach nicht mehr. Die letzten acht Kilometer würden sehr lang werden. Ich schlug Johannes und Robert vor, zu zweit durchzuziehen, was beide aber ablehnten. So wurden unsere gemeinsamen Laufabschnitte kürzer, die Wanderabschnitte länger. Immerhin hatten die beiden so mehr Zeit für Fotos. Und obwohl Johannes kaum mehr dabei hatte als ich, gab er mir noch einige Schlucke zu Trinken ab.
Schließlich war Lorch zum Greifen nahe. Von der Hochebene aus hatten wir einen herrlichen Blick auf den Rhein und die angrenzenden Ufer. Was auf der Karte im Vorfeld aber so aussah, als ginge es die letzten vier Kilometer nur noch bergab, täuschte allerdings: immer wieder gab es kurze Gegensteigungen, die mir alles abverlangten.
Der letzte Abstieg hat es dann noch einmal in sich: fast einem Klettersteig gleich geht es steil über Felsen bergab, die fest installierten Stahlseile sind bitter nötig. Das gefiel mir sehr gut: zum einen war ich abgelenkt, zum anderen hätten wir nicht schneller gekonnt, selbst wenn ich noch auf der Höhe gewesen wäre. Hier war auch viel los, sodass wir uns mit anderen Wanderern absprachen.
Alles hat ein Ende
Dann zeigte die Uhr nur noch einen einzigen Kilometer, kurz darauf liefen wir nach Lorch hinein. Passend zu den letzten fünfhundert Metern erreichte uns Svenjas Nachricht: „Schneller, wir warten“ – tja, hätten wir mal lieber die Schilder weiterhin genau im Auge behalten, denn zum Finale verpassten wir noch einen Abzweig und standen plötzlich in einer Sackgasse. Also wieder zurück, eine Treppe hinauf, um eine letzte Kurve und durch eine Unterführung, dann kam der Parkplatz in Sicht, an dem wir uns vor gefühlt vielen Stunden getroffen hatten, und mit ihm das Infoschild zum Wispertaunussteig, unser Ziel.
Erstmal sitzen, dann der erlösende erste Schluck Wasser, dem viele weitere folgten. Auch Cola war wieder eine gute Medizin.
Mein Hungerast hat mich im Nachhinein zum Nachdenken gebracht. Denn wenn, wovon ich ausgehe, mein rapider Leistungsabfall mit zu wenig Flüssigkeit zu tun hatte, könnte mich diese Erkenntnis auch im Marathon deutlich weiterbringen. Bisher war mein Ansatz, möglichst viel Energie zuzuführen, weil ich dachte, dass zu wenig Kohlenhydrate das Problem seien. Ich werde in Zukunft auf FKT-Abenteuer deutlich mehr Wasser mitnehmen und auch mit Zusätzen experimentieren.
Der Überblick
Datum: Sa, 25. Juli 2020
Ort: Kemel, Deutschland
Wettkampf: FKT Wispertaunussteig (Germany)
Distanz: 44 km, 1230 hm
Zeit: 4:13:10 h
Crew: – (unsupported)
Schuhe: Hoka one one Speedgoat 4
Ernährung: Clif Riegel, Clif Bloks (4 Stk.), Clif Shot
Fotos: Johannes und Robert
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