Ich habe lange hin- und herüberlegt, ob ich diesen Artikel wirklich schreiben soll. Das Thema Gewicht ist ein heikles, insbesondere in einem Sport wie unserem, in dem es grundsätzlich darum geht, schneller zu werden und man schneller laufen kann, je leichter man ist. Auf der Homepage des (online-) Trainers Peter Greif gibt es sogar einen Rechner, wie viel schneller man laufen könnte, wenn man Gewicht verliert. Gerechnet wird mit der geplanten Fettabnahme. Auch dort gibt es aber den Hinweis, dass ein Zuviel an Gewichtsverlust unter Umständen gesundheitsschädlich sein kann.
Leichter ≠ schneller
Weniger wiegen heißt schneller laufen – bis zu einem gewissen Grad zumindest. Irgendwann gibt es einen Punkt, an dem sich alles umkehrt und ein Weniger an Substanz auch weniger Kraft bedeutet. Einige Laufkarrieren sind daran zerbrochen und richten noch Jahrzente später Schaden an. Theoretisch heißt es, den Körperfettanteil zum wichtigen Wettkampf hin zu senken, um möglichst wenig „Ballast“ tragen zu müssen und so schneller zu sein. In der Praxis sind Essstörungen keine Seltenheit, wie dieser Artikel eindrucksvoll beschreibt.
Wieder kommt hier nämlich eine Grenze ins Spiel. Leichter heißt nicht immer schneller, weil es einen essentiellen Körperfettanteil gibt, der – wie der Name schon sagt – vom Körper dringend zum Überleben gebraucht wird. Ein bestimmter Anteil von eingelagertem Fett ist nötig, um die inneren Organe zu schützen. Werden beispielsweise die Strukturfett-Reserven angegriffen, kann es zu Beeinträchtigungen von Körperfunktionen kommen. So benötigen Frauen aufgrund ihrer körperlichen und hormonellen Unterschiede, aber auch für den Eisprung, mehr Fett-Ressourcen.
Jeder Mensch ist von seiner Zusammensetzung her anders, dennoch gibt es in der Literatur Richtwerte. Laut Abernathy und Black (1996) galten 12-20 % Körperfett für Männer und 20-30 % für Frauen als gesund. Das American Council on Excercise (ACE) fächert diese Werte etwas genauer auf:
Klassifikation | Frauen | Männer |
Untergrenze | 10-13 % | 2-5 % |
Athletisch | 14-20 % | 6-13% |
Fit | 21-24 % | 14-17 % |
Durchschnittlich | 25-31 % | 18-24 % |
Fettleibig | > 32 % | > 25 % |
Das Gewicht darf schwanken
Zurück zur eigentlichen Motivation für diesen Blogpost. Inspiriert wurde ich von der kanadischen Mittelstrecklerin Hilary Stellingwerff (Olympionikin mit einer 1500 m Bestzeit von 4’05“08). Noch beeindruckender als ihre Bestzeit, oder dass sie sich schon für zwei olympische Spiele qualifiziert hat, ist ihre Konstanz. Zwischen 2005 und 2016 lief sie die 1500 m jedes Jahr zwischen 4’05 und 4’08 – außer, als sie schwanger war. Außerdem war sie immer dann am schnellsten, wenn es darauf ankam (bei Olympia).
Data is emerging to suggest that it is not sustainable from a health and/or performance perspective to be at peak body composition year-round, so body composition needs to be strategically periodized. – T. Stellingwerff (2017)
Ihr Mann und Trainer Trent Stellingwerff hat jetzt Daten zu ihrem Gewicht veröffentlicht. Darin legt Stellingwerff (2017) dar, dass seine Frau nur zwei Mal in ihrer Karriere verletzt war, was er auf eine optimale Energieverfügbarkeit zurückführt.
In der generellen Vorbereitungsphase – von September bis April – lag Hilary in den neun Jahren der Aufzeichnung ca. zwei bis vier Prozent über dem Optimalgewicht und ihrem optimalen Körperfettwert. Beides wurde dann durch weniger Kalorien für die Wettkampfphase – von Mai bis August – reduziert.
Grafisch aufbereitet ist der Gewichtsverlauf von Hilary in der folgenden Grafik gezeit. Dabei sind die Wettkampfphasen jeweils grau hinterlegt. Durch mehr Gewicht in der „Off-Season“ zeigt sich eine fast perfekte Sinuskurve:
Um ihr Gewicht für die Wettkämpfe zu optimieren, wurden im ersten Schritt Süßigkeiten und Fett reduziert, wobei darauf geachtet wurde, dass immer genug Energie – insbesondere für harte Bahneinheiten – zur Verfügung stand. Außerdem, um keine Muskeln zu verlieren, wurde die Eiweißzufuhr erhöht.
Die Anwendung als Freizeit-Athlet
Natürlich gibt es Unterschiede zwischen Profi und Amateur. Genau zu planen, wann das Gewicht wie hoch zu sein hat, lohnt sich wohl kaum für Unsereins. Ich persönlich halte es gerne wie Maja Neuenschwander, die berichtet, dass sich ihr Gewicht von allein optimiert, wenn der Wettkampf näher kommt und dementsprechend die Kilometerumfänge erhöht werden. Wahrscheinlich sind wir Marathonläufer da auch ein Sonderfall, weil sich die Umfänge zwischen Saisonpause und spezifischer Vorbereitung deutlich unterscheiden.
Auch ich komme damit auf eine Sinuskurve. Wenn das Training anzieht sinkt das Gewicht. Dann stimmt auch die Korrelation, weil die Form besser wird und die Waage weniger anzeigt. Werden dann aber nach dem Marathon die Füße hochgelegt, während der Appetit gleichbleibt und auch einfach mehr Zeit zum Essen zur Verfügung steht, steigt das Gewicht wieder. Laut meinen Messungen (handelsübliche Personenwaage, Caliper 7-Punkt-Messung) schwanke ich so zwischen 68 und 73 kg und 7 bis 12 % Körperfett. Und das ist auch gut so.
Fazit
Wo immer unser optimales Wettkampfgewicht liegen mag, eine wichtige Botschaft dieses Artikels ist es, sich nicht zu sehr darauf zu versteifen. Zum einen macht ein Bier oder ein Stück Kuchen keinen Unterschied, zum anderen setzt sich unsere Wettkampfleistung aus viel mehr zusammen als nur unserem Gewicht. Es geht nicht darum, unser tiefstgewicht dauerhaft halten zu wollen. Wie überall im Leben, mit Arbeit und Urlaub, Tag und Nacht, Be- und Entlastung darf (bzw. muss) auch das Gewicht schwanken.
Quellen:
Abernathy, R. P.; Black, D. R.; 1996. Healthy body weigths: an alternatvie perspective. Am J Clin Nutr. 1996 Mar; 63 (3 Suppl): 448S-451S
Hutchinson, A.; 2017. How an Olympic Runner Hits Race Weight. URL: https://www.outsideonline.com/2264906/how-olympic-runner-hits-race-weight?
Stellingwerff, T.; 2017. Case-Study: Body Composition Periodization in an Olympic-Level Female Middle-Distance Runner Over a 9-Year Career. Int J Sport Nutr Exerc Metab. 2017 Nov 15: 1-19.
2 Kommentare
Kommentare sind geschlossen.