Über Ermüdung, Laufökonomie und den Katapult-Effekt beim Marathon

Über Ermüdung, Laufökonomie und den Katapult-Effekt

Und dann, irgendwann jenseits der 30 km, wird es hart, gleich wie gut der Marathon läuft. Während die einen gehen müssen, können die anderen noch laufen, wenige sind sogar schneller als zu Beginn. Für alle aber ist das Tempo, das sich auf den ersten Kilometern noch so locker und leicht laufen ließ, jetzt nur noch mit deutlich höherem Einsatz realisierbar. Schuld daran ist die Ermüdung – und vielleicht auch der Katapult-Effekt sowie die einhergehende abnehmende Laufökonomie, wie eine aktuelle Studie vermuten lässt.

 

Die Faktoren der Ermüdung

Während ich schon mit einem Augenzwinkern gehört habe, dass die letzten Kilometer eines Marathons die schnellsten sein müssten, weil man unterwegs Flüssigkeit und damit Gewicht verloren hat und leichter eben schneller läuft, ist genau das Gegenteil der Fall: Je weiter ein Wettkampf voranschreitet, seien es 10 oder 42,2 km, desto größer wird die Ermüdung.

Zwei Faktoren scheinen dabei physisch die größte Rolle zu spielen: zum einen steht uns weniger Energie zur Verfügung – die Speicher werden nach und nach aufgebraucht –, zum anderen laufen wir weniger effizient, die Laufökonomie ist schlechter geworden.

Wie wir von Kipchoge gelernt haben, spielt außerdem noch unser Denken eine große Rolle. Auch das ist klar: mit der Erschöpfung wird es schwieriger, die Konzentration aufrecht zu erhalten. Je nach Rennverlauf kann der Glaube an das eigene Leistungsvermögen schwinden oder sich bestätigen. Doch zurück zur Physis.

Obwohl insbesondere die letzten Kilometer die wichtigen sind, werden diese in der Forschung oft nicht berücksichtigt. Zu oft wird in der Wissenschaft davon abgesehen, dass wir ermüden, und die Laufökonomie im ausgeruhten Zustand erfasst. Natürlich ist es schwierig, Probanden zu finden, die erst 30 km laufen und dann noch für Untersuchungen bereitstehen. Die Ergebnisse wären aber allemal interessant.

Neue Erkenntnisse gibt es jetzt durch eine Studie der Sporthochschule Köln, in der die Umverteilung der Energieerzeugung untersucht wurde, mit der die abfallende Laufökonomie mit voranschreiten der Wettkampfdistanz zu erklären sein könnte.

Dazu aber zunächst ein Exkurs.

 

Exkurs: Der Katapult-Effekt

Wie funktioniert Laufen eigentlich? Sind es unsere Beinmuskeln, deren Kraft uns vorwärtsbewegt?

Auch, aber nicht nur. Viel wichtiger ist der Dehnungs-Verkürzungszyklus, durch den sich viel Kraft sparen lässt. Mit jedem Aufprall werden Sehnen und Bänder gedehnt. Sie speichern dabei kinetische Energie ab, die sie dann beim Verkürzen während des Abstoßens zurückgeben.

Entdeckt wurde dieser Katapult-Effekt zuerst bei Kängurus (Kram & Dawson, 1998). Mit reiner Muskelkraft war es nicht zu erklären, wie die Tiere zu solch weiten Sprüngen fähig sind. Die Lösung lag in den Sehnen und Faszien: wenn ein Känguru auf dem Boden aufsetzt, werden diese wie Gummibänder unter Spannung gesetzt. Beim direkten Absprung ziehen sie sich wieder zusammen und geben die gespeicherte Energie frei, die die gewaltigen Sprünge der Tiere ermöglichen.

Der gleiche Katapult-Effekt wurde kurze Zeit später auch bei Gazellen und dann bei Pferden entdeckt. Schließlich konnten Sawicki et al. (2009) zeigen, dass sich auch der Mensch diesen Effekt zu Nutze macht. Nicht nur (aber vor allem) beim Laufen, sondern auch beim Gehen. Nicht genutzt wird der Dehnungs-Verkürzungszyklus bei langsamen Bewegungen (z. B. beim Fahrradfahren): Hier verändern die Muskelfasern aktiv ihre Länge, während sich die Sehnen und Bänder kaum verlängern, sie spielen überwiegend eine passive Rolle.

 

Die Studie zur Laufökonomie

Die Gruppe um Maximilian Sanno (2018) von der Sporthochschule in Köln haben 25 Läufer auf ein Laufband gebeten. Dort wurden 10 schnelle Kilometer absolviert: die Laufgeschwindigkeit war 5 % langsamer als die jeweilige Jahresbestzeit angesetzt. Unterteilt war die Gruppe in Hobbyläufer (13) mit Zeiten über 47:30 min und ambitionierte Läufer (12) mit Zeiten unter 37:30 min. Gemessen wurde die Gelenkkinematik der unteren Extremitäten an 13 Distanzpunkten: an jeder Kilometermarke sowie am Start, nach 200 und 500 Metern.

Abbildung aus Sanno et al. (2018): die Verschiebung der Energieerzeugung
Abbildung aus Sanno et al. (2018): die Verschiebung der Energieerzeugung

Herausgefunden wurde dabei folgendes: wie die Abbildung zeigt, scheinen die Fußgelenke schnell und in einem solchen Maße zu ermüden, dass die Energieerzeugung auf Hüfte und Knie verlagert wird. Mit fortschreiten der Distanz gibt es signifikant weniger Gelenkbewegung im Knöchel und signifikant mehr Bewegung in Knie und Hüfte. Der Effekt ist bei den schnelleren Läufern weniger ausgeprägt.

Diese Umverteilung der Energieerzeugung könnte die abfallende Laufökonomie mit voranschreiten der Wettkampfdistanz erklären, weil Knie und Hüfte von deutlich mehr Muskeln umgeben sind, die zu bewegen mehr Energie braucht.

Was also tun? Die Autoren empfehlen isometrische Übungen (im Sitzen den Ballen in den Boden pressen, 5×3‘‘ mit 3‘‘ Pause), sodass die Knöchel länger Energie speichern können. Vielleicht hilft es aber auch, im ermüdeten Zustand aktiver aus den Fußgelenken zu laufen? Dass bei Spitzenläufern auf dem letzten Kilometer der Schritt komplett anders ist, habe ich bereits in diesem Post diskutiert. Auch hier könnte der Effekt eine Rolle spielen.

Es besteht weiterer Forschungsbedarf.

 

In der Zusammenfassung

…lässt sich festhalten, dass

  • es immer schwieriger wird, ein konstantes Lauftempo aufrecht zu erhalten, weil uns zum einen die Energie ausgeht und zum anderen die Laufökonomie schlechter wird.
  • sich durch den Katapult-Effekt (den Dehnungs-Verkürzungszyklus) Energie sparen lässt.
  • sich die Energieerzeugung mit fortschreitender Ermüdung weg von den Fußgelenken hin zu Hüfte und Knie verlagert. Das könnte eine verschlechtere Laufökonomie erklären.

 

Quellen:

Kram, R. & Dawson, T. J.; 1998. Energetics and biomechanics of locomotion by red kangaroos (Macropus rufus). Comp Biochem Physiol B Biochem Mol Biol. 1998 May; 120(1): 41-9.

Sanno, M.; Willwacher, S.; Epro, G.; Brüggemann, G. P.; 2018. Positive Work Contribution Shifts from Distal to Proximal Joints during a Prolonged Run. Med Sci Sports Exerc. 2018 Aug 30.

Sawicki, G. S.; Lewis, C. L.; Ferris, D. P.; 2009. It Pays to Have a Spring in Your Step. Exercise and Sport Sciences Reviews. Online hier.