VO2max

IMG_7669aDie relative maximale Sauerstoffaufnahme (VO2max; in ml O2/min/kg Körpermasse) ist ein Parameter, mit dem die Ausdauerleistungsfähigkeit eines Menschen bewertet werden kann. Er gibt an, wie viele Milliliter Sauerstoff der Körper des Probanden maximal pro Minute verwerten kann. Insbesondere in den USA wird gerne das Lauftraining auf diesen Parameter hin ausgerichtet – in Deutschland weniger, dennoch hört man ab und zu, dass die VO2max verbessert werden müsse, um im Wettkampf schneller laufen zu können. Nahe gelegt wird diese Idee dadurch, dass die modernen Uhren den Wert mittlerweile relativ genau abschätzen können. Dennoch rate ich von diesem Trainingsansatz ab. Nicht nur, weil damit einige Trainingsideen völlig außen vor gelassen werden, sondern auch, weil der Parameter VO2max nicht unbedingt aussagekräftig ist. Lasst mich etwas ausholen:

Durch Aussagen wie die VO2max sei der wichtigste Parameter, um die Ausdauerleistung bei Läufern zu bestimmen (Midgley, McNaughton & Wilkinson, 2006) oder auch dadurch, dass Daniels Running Formula (2005) komplett auf der VO2max basieren, liegt die Vermutung nahe, dass dieser Wert eindeutig mit der menschlichen Leistung korreliert. Stimmt aber nicht.

Die Entwicklung des Konzepts
Seit den 1920er Jahren kann der Sauerstoffverbrauch gemessen werden. 1923 hatten Hill und Lupton die Vermutung, dass es in der Sauerstoffaufnahme eine obere Grenze gibt. Bestätigt wurde diese Annahme durch einen Selbsttest, woraus sich zwei Schlussfolgerungen ergaben: erstens wird die VO2max durch das Kreislauf- sowie das Atmungssystem begrenzt, zweitens ist die VO2max dann erreicht, wenn sich während eines Stufentests ein „Plateau“ zeigt.

Die Schwierigkeiten
Das genannte Plateau zu identifizieren, stellt meist allerdings ein Problem dar. Insbesondere auch deshalb, weil bei der Definition des „Plateaus“ der VO2-Anstieg lediglich bei weniger als 150 ml/min liegen musste (Noakes, 2008).

Weiterhin zeigen sich bei unterschiedlichen Testarten, wie beispielsweise im Vergleich eines Stufentests mit einem supramaximalen Test, für die gleichen Probanden unterschiedliche VO2max-Werte. Und auch die Psyche spielt bei der Testart eine Rolle. Bei einem 20 minütigen Test unterscheiden sich die VO2max-Ergebnisse je nachdem, ob die Probanden wussten, wann der Test enden würde, oder nicht. Grund ist die wahrgenommene Anstrengung (Baden et al., 2005).

Ferner unterscheidet sich der VO2max-Wert bei unterschiedlichen Sportarten: der Wert auf dem Rad ist für fast alle Menschen anders als der beim Laufen (Basset & Boulay, 2000).

Die Voraussetzungen
Dass sich die Werte bei unterschiedlichen Sportarten unterscheiden, macht durchaus Sinn, wird im Konzept des VO2max als Berechnungsgrundlage aber nicht berücksichtigt. Denn eigentlich müsste der Sauerstoff, der in der Lunge aufgenommen und vom Herz-Kreislauf-System weitergegeben werden kann, bei jeder Aktivität gleich sein. Die Unterschiede liegen also in den Muskeln: Für die unterschiedlichen Sportarten müssen ganz spezielle Muskeln rekrutiert werden, die von Person zu Person unterschiedlich trainiert sind (Dalleck et al., 2004).

Ein Radfahrer zum Beispiel ist auf das Treten der Pedale angepasst und demzufolge dort effektiv. Laufen ist die Muskulatur weniger gewohnt und arbeitet ineffizienter, weshalb der VO2max für Radfahrer beim Laufen niedriger ist.

Aber auch innerhalb einer Sportart versagt das Konzept, denn die unterschiedlichen Distanzen unterscheiden sich in der Art der Muskelrekrutierung. So können Mittelstreckler und Langstreckler durchaus die gleichen VO2max-Werte aufweisen, unterscheiden sich aber bei ihrem Leistungsvermögen völlig voneinander. Würden nun beide, aufgrund der gleich VO2max, dasselbe Training absolvieren, wäre niemandem geholfen.

VO2max als Trainingsbasis
Doch nicht genug der Kritik: Das Training vieler wird derzeit durch den VO2max in zweierlei Art und Weise bestimmt. Zum einen durch die Trainingszonen, mit denen die Trainingsintensität festgelegt wird und durch welche nahegelegt wird, in welchen Geschwindigkeitsbereichen das Training am effektivsten sei.

Zum anderen dadurch, dass nahegelegt wird, ein höherer VO2max korreliere mit einer besseren Leistungsfähigkeit. Basis für diese Annahme war eine Studie von Wenger & Bell (1986), die festgestellt hatten, dass die Probanden sich dann am meisten in ihrem VO2max-Wert steigerten, wenn zielgerichtet für diesen Parameter trainiert wurde, ganz unabhängig von der Dauer des Trainings. Diese Daten wurden folglich immer benutzt, um zu zeigen, dass VO2max-Training das Beste für jeden sei, um sich in der Ausdauerleistung zu verbessern. Das Problem ist wieder einmal die Verallgemeinerung: von nur einer einzigen Studie wird auf die große Masse geschlossen. Außerdem sollte es auch so sein, dass wenn wir auf einen Parameter hin trainieren, sich dieser auch verbessert. In der Schlussfolgerung liegt der Fehler, denn die VO2max und „Ausdauer“ werden als Synonyme behandelt. Dabei ist die VO2max nur ein Faktor für die menschliche Ausdauerfähigkeit. Was ist mit den anderen?

%VO2max
Trainingsprogrammen, die die Trainingsbereiche mit Prozentwerten der VO2max einteilen, liegt folgendes Problem zugrunde: die individuellen Anpassungen auf die Bereiche weichen erheblich voneinander ab, selbst wenn beim exakt gleichen individuellen %VO2max trainiert wird! Auch bei trainierten Probanden unterscheiden sich beispielsweise die %VO2max-Werte an der anaerob-aeroben Schwelle deutlich voneinander (Brooks and Fahey, 2004; Vollaard et al., 2009; Scharhag-Rosenberger et al., 2009). Wenn beispielsweise zwei Athleten bei jeweils 80 %VO2max trainieren, kann der eine noch aerob laufen, während der andere bereits in Sauerstoffschuld gerät. Ebenso unterscheiden sich andere Parameter wie die Enzymaktivität, die Muskelrekrutierung oder die Stoffwechselrate (Vollaard et al., 2009).

Und viel wichtiger: die VO2max-Werte korrelieren nicht mit der Leistungsverbesserung. Es gibt solche und solche: manche Probanden sprechen gut auf das Training nach %VO2max an, manche weniger. In einem Lauf gegen die Uhr nach 6 Wochen in Trainingsbereichen der VO2max verbesserten sich manche, andere nicht. Manche verbesserten nur ihren VO2max-Wert, nicht aber ihre Leistung, und umgekehrt (Vollaard et al., 2009). Auch andere Studien (z. B. Daniels et al., 1978; Smith et al., 2003; Legaz Arrese et al., 2005; Jones, 2006) zeigen, dass die VO2max nicht mit der Ausdauerleistungsfähigkeit zusammenhängen muss.
 
Worum es doch eigentlich geht
Es muss umgedacht werden: Die Leistung ist unabhängig vom VO2max-Wert. Wer will schon sein Training nach einem Wert ausrichten, der nicht mit der Intensität korreliert und nur bedingt aussagekräftig ist?
Es ist immer wichtig zu wissen, was wir messen; zu welchen Schlussfolgerungen es uns führt! Und worum geht es denn eigentlich? Im Training geht es nicht darum, einen Trainingsparameter zu verbessern! Es geht darum, im Wettkampf schnell(er) zu laufen! Wen interessiert es, ob der Zweitplatzierte eventuell eine höhere VO2max hat als der Sieger?

 

 

Quellen:
Baden, D. A.; McLean, T. L.; Rucker, R.; Noakes, T. D.; St Clair Gibson, A.; 2005. Effect of anticipation during unknown or unexpected exercise duration on ratings of perceived exertion, affect, and physiological function. British Journal of Sports Medicine, 39(1), 742-746
Basset, D. R.; Boulay, M. R.; 2000. Specificity of treadmill and cycle ergometer tests in triathletes, runners and cyclists. European Journal of Applied Physiology, 81(3), 214-221.
Brooks, G. A.; Fahey, T. D.; Baldwin, K.; 2004. Exercise Physiology: Human bioenergetics and its application. McGraw-Hill.
Dalleck, L. C.; Kravitz, L.; Robergs, R. A.; 2004. Maximal exercise testing using the elliptical cross-trainer and treadmill. Journal of the Exercise Physiology, 7(3), 94-101.
Daniels, J.; 2005. Running Formula. Human Kinetics. Champaign, IL, USA.
Daniels, J. T.; Yarbrough, R. A.; Foster, C.; 1978. Changes in VO2 max and running performance with training. European Journal of Applied Physiology, 39(4), 249–254.
Jones, A. M.; 2006. The physiology of the world record holder for the women’s marathon. International Journal of Sports Science Coaching 1, 101–116.
Legaz Arrese, A.; Serrano Ostáriz, E.; Jcasajús Mallén, J. A.; Munguía Izquierdo, D.; 2005. The changes in running performance and maximal oxygen uptake after long-term training in elite athletes. Journal of Sports Medicine and Physical Fitness, 45(4), 435–440.
Magness, Steve; 2009. The Fallacy of VO2max and %VO2max. Online Ressource. URL: http://www.scienceofrunning.com/2009/12/fallacy-of-vo2max-and-vo2max.html
Midgley, A. W.; McNaughton, L. R.; Wiklinson, M.; 2006. Is there an optimal training intensity for enhancing maximal oxygen uptake of distance runners?: empirical research findings, current opinions, physiological rationale and practical recommendations. Sports Medicine, 36(2), 117-132.
Noakes, T. D.; 2008. How did A. V. Hill understand the VO2max and the “plateau phenomenon”? Still no clarity? British Journal of Sports Medicine, 42(7), 574-580.
Scharhag-Rosenberger, F.; Meyer, T.; Gäßler, N.; Faude, O.; Kindermann, W.; 2010. Exercise at given percentages of VO2max: heterogeneous metabolic responses between individuals. Journal of Science and Medicine in Sport, 13(1): 74-79.
Smith, T. P.; Coombes, J. S.; Geraghty, D. P.; 2003. Optimising high-intensity treadmill training using the running speed at maximal O2 uptake and the time for which this can be maintained. European Journal of Applied Physiology, 89(3-4), 337–343.
Vollaard, N. B. J.; Constantin-Teodosiu, D.; Fredriksson, K.; Rooyackers, O.; Jansson, E.; Greenhaff, P. L.; Timmons, J. A.; Sundberg, C. J.; 2009. Systematic analysis of adaptations in aerobic capacity and submaximal energy metabolism provides a unique insight into determinants of human aerobic performance. Journal of Applied Physiology, 106, 1479–1486.
Wenger, H. A.; Bell, G. J.; 1986. The interactions of intensity, frequency and duration of exercise training in altering cardiorespiratory fitness. Sports Medicine, 3(5), 346-356.