Sportassoziierte Muskelkrämpfe: Ursachen, Vorbeugung und Behandlung

Krämpfe – mancher leidet mehr, andere weniger darunter. Aber wenn, dann wird es schmerzhaft. Sehr schmerzhaft. Normalerweise dauert das Leiden zwischen fünf und zehn Sekunden, teilweise auch bis zu einer halben Minute. Manche berichten sogar von Krampfdauern von bis zu einer viertel Stunde!

Besonders übel wird es, wenn es nicht nur schmerzt, sondern gleichzeitig die Ziele verloren gehen. Wenn Krämpfe im Wettkampf auftreten. Bei Dr. Brian Smart habe ich einen Artikel gefunden, den ich gerne übersetzen würde, um den Inhalt den deutschsprachigen Läufern nicht vorzuenthalten. Zunächst werden Ursachen erläutert, bevor auf Vorbeugung und Behandlung eingegangen wird:

Wie kommt es zu sportassoziierten Muskelkrämpfen (EAMC: exercise-associated muscle cramps)?
Es wird darauf hingewiesen, dass die anschließende Erörterung unter dem Vorbehalt geführt wird, dass andere Ursachen, wie Krankheitsgeschichten (z. B. Diabetes), Medikationen und andere medizinische Ursachen (wie Mangelernährung) im Vorfeld ausgeschlossen wurden.

In der Literatur werden meist zwei Theorien gegenübergestellt, um die Ursache von EAMC zu erklären: Auf der einen Seite Dehydration bzw. fehlende Elektrolyte, auf der anderen neuromuskuläres Versagen.

Der erste Erklärungsversuch
Dass Dehydration und damit verbunden fehlende Elektrolyte zu Krämpfen führen, leuchtet im ersten Moment schnell ein. Denn während sportlicher Aktivität wird geschwitzt, Wasser und Elektrolyte gehen verloren und können nicht in gleichem Maße wieder zugeführt werden. Den Nerven fehlen die nötigen Mittel, um Reize weiterzuleiten. In der Folge kontrahieren die Muskeln unkontrolliert. Weil bei Hitze und schwülen Witterungen mehr geschwitzt wird, würden solche Witterungsverhältnisse eher zu EAMC führen.

Um den komplexen Vorgang erschöpfend zu beschreiben reicht diese Theorie allein aber nicht aus. EAMC treten nämlich durchaus auch bei kalten Temperaturen auf. Außerdem zeigen Studien, die sich mit EAMC bei Marathonläufern beschäftigen, dass sich bei solchen Läufern, die unter Krämpfen litten, nicht signifikant weniger Blutvolumen, Blutplasmavolumen oder Körpergewicht als bei Läufern, die von Krämpfen verschont bleiben. Ferner zeigen Studien keine Unterschiede in der Schweißrate und Wasser/Natrium-Verluste zwischen EAMC-Geplagten und Nicht-Geplagten, ebenso wenig lässt sich eine Korrelation zwischen Gewichtsverlust bei Rennen und EAMC finden. Dass dieser erste Erklärungsversuch schließlich in dieser Art nicht zutreffen kann beweist, dass Krämpfe auch auftreten, wenn Wasser und Elektrolyte ersetzt werden.

2013 zeigte eine kleine Studie mit 10 männlichen Probanden (Durchschnittsalter 24 Jahre), dass ein Verlust von Wasser und Elektrolyten bis 5% des Körpergewichts keinen Effekt auf das Krampfverhalten hat. Ähnliche Ergebnisse zeigt eine Studie mit 43 Probanden bei einem Ultramarathon. Ca. die Hälfte der Athleten erlebten EAMC. Zwar hatte die „Krampf-Gruppe“ niedrigere Natrium- (139,8/142,3) und höhere Magnesiumwerte (0,73/0,67), welche aber im normalen Bereich lagen. Außerdem zeigten sich keine signifikanten Unterschiede im Körpergewicht, Blutvolumen, Blutplasmavolumen oder in der Anzahl roter Blutkörperchen. Auch bei einer Triathlon-Studie mit 20 Probanden bei einem Ironman zeigte normale Werte in beiden Gruppen. Interessanterweise hatte die „Krampf-Gruppe“ sogar höhere Natriumwerte (143/140). Die Theorie der fehlenden Elektrolyte scheint damit wiederlegt – oder geht es im Endeffekt gar nicht um die Absolutwerte, sondern um den Konzentrationsunterschied zwischen vor und nach dem Rennen? Ein Ansatz, der lohnenswert erscheint, um ihn weiter zu untersuchen. Noch liegt keine Studie diesbezüglich vor.

Der zweite Erklärungsversuch
Beim alternativen Ansatz, um EAMC zu erklären, handelt es sich um die sogenannte neuromuskuläre Theorie. Durch zunehmende Überlastung und Ermüdung lässt nicht nur die Kraft nach, sondern ebenso die intramuskuläre Koordination: die zur Kontraktion anregenden Impulse der Muskelspindeln stehen nicht mehr im ausgeglichen Verhältnis zu den hemmenden Impulsen der Golgi-Rezeptoren des myofaszialen Gewebes – der Muskel kontrahiert unfreiwillig.

Studien mit Katzen konnten zeigen, dass die hemmenden Impulse der Golgi-Rezeptoren bei neuromuskulärer Ermüdung herabgesetzt und die Aktivität der Muskelspindeln erhöht ist. Beim Menschen scheinen Beobachtungen die Theorie zu untermauern: EAMC treten öfter nach längeren Einheiten (neuromuskuläre Ermüdung) auf als zu Beginn des Trainings. Außerdem krampfen Muskeln eher dann, wenn sie kontrahieren, sie also im verkürzten Zustand sind und die Aktivität der Golgi-Rezeptoren auf dem zyklischen Tiefpunkt angelangt sind. Was bedeuten würde, dass Muskeln in der Folge bei jeder Kontraktion besonders krampfanfällig sind.

Weiterhin ins Konzept der zweiten Theorie passt, dass Dehnen das vielleicht wirksamste Mittel gegen EAMC darstellt. Durch das Dehnen wird die Spannung in den Sehnen, die den betroffenen Muskel fixieren, erhöht und dadurch die Golgi-Rezeptoren aktiviert. Dadurch wiederum erhöht sich der hemmende Einfluss auf die Kontraktionen und ein Gleichgewicht zwischen stimulierenden und hemmenden Impulsen kann wieder hergestellt werden.

Passend zur neuromuskulären Theorie zeigte eine Ultramarathon (56 km) Studie mit 49 Teilnehmern einen Zusammenhang zwischen einer schnelleren Angangszeit für die ersten 28 km und dem Auftreten von EAMC. 20 Probanden bekamen während des Rennens und in den ersten sechs Stunden danach Krämpfe, 29 nicht, und das obwohl die Verteilung von Bestzeit-Versuchen in beiden Gruppen gleich war. Kein Zusammenhang konnte zwischen EAMC und Alter, BMI, Geschlecht, Bestzeiten, Muskelschmerzen oder Training (Dauer und Frequenz) festgestellt werden.

Auch eine ähnliche Studie aus dem Triathlonbereich, mit 209 Probanden bei einem Ironman, zeigte einen Zusammenhang zwischen zu schnellem Angehen und EAMC. 43 der Probanden litten unter Krämpfen, es gab weder Unterschiede in Form von Gewichtsverlusten über das Rennen noch beim Vergleich der Elektrolytspeicher vor und nach dem Rennen.

Auch ein Fragebogen mit 433 Ironman-Triathleten zeigte, dass die Gruppe, die angab, bereits an EAMC gelitten zu haben, ihre Leistungsfähigkeit bei vergleichbaren (Unterdistanz-)Bestzeiten höher einschätzte.

Es könnte also durchaus sein, dass wer für seine Verhältnisse zu schnell anläuft bzw. –fährt, sich einem höheren Risiko aussetzt, an Krämpfen zu leiden, weil die neuromuskuläre Ermüdung früher eintritt. Stimmt die Theorie der neuromuskulären Ermüdung, wird folgerichtig die Renntaktik für EAMC-Betroffene noch wichtiger. Doch gibt es eine Ermüdungsschwelle, nach welcher EAMC auftreten? Ist diese für jeden individuell verschieden? Und tritt die Ermüdung, die für das Krampfen verantwortlich ist, peripher (im Muskel) oder zentral (im Nervensystem und Gehirn) auf?

Ein dritter Ansatz?
In der Fragebogen-Studie wurden außerdem noch andere Zusammenhänge gefunden. Die EAMC-Gruppe der Triathleten war signifikant größer und schwerer, hatte eine Vorgeschichte mit Krämpfen sowie Sehnen und/oder Bänderverletzungen und Familienmitglieder, die ebenso EAMC erfahren mussten. Insbesondere der letzte Punkt könnte interessant sein, weil die Genetik ins Spiel kommt – völlig unabhängig von Hydrierung, Elektrolyten und neuromuskulärer Ermüdung. Es gibt sogar eine Studie, die einen Zusammenhang zwischen dem Kollagen-Gen COL5A1 und dem Auftreten von EAMC gefunden haben will: das CC-Genotyp des COL5A1 war in der EAMC Gruppe (11,1%) deutlich unterrepräsentiert (im Vergleich zu 21,8%). Ist es am Ende eine genetische Prädisposition, die zu Krämpfen führt?

Empfehlungen zur Behandlung und Vorbeugung von Krämpfen
Wie viele Erkrankungen haben auch EAMC höchstwahrscheinlich nicht nur eine Ursache, sondern entstehen auf vielerlei Art und Weise. In anderen Worten: bei unterschiedlichen Athleten kann sich der Auslöser für die Krämpfe auf unterschiedlichen Wegen anbahnen. Folgerichtig sollte sich jeder Sportler, basierend auf seinen Erfahrungen, auf seine Art vor EAMC wappnen.

Folgende Empfehlungen werden aufgelistet:
• Den Körper auf die Wettkampfleistung vorbereiten (bzw. umgekehrt gedacht: den Trainingsleistungen entsprechend angehen)
• (Schnell-)Krafttraining (Plyometrics) für die entsprechenden Muskelgruppen in Erwägung ziehen
• Ausreichend trinken und auf Elektrolytzufuhr achten
• Frühwarnzeichen (z. B. eine erste Anspannung) wahrnehmen lernen und entsprechend reagieren
• Den Körper besser kennenlernen: wann Krämpfe ignoriert werden können und wann nicht
• Sofortiges Dehnen
• Den Antagonisten bewusst anspannen

Muskelkrämpfe sind sehr schmerzhaft und frustrierend. Für viele kann aber ein entsprechendes Training und bewusstes Auseinandersetzen mit dem Problem die Lösung sein.

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