Einfach mal aus dem Alltag ausbrechen.
Die gewohnte Umgebung aus einem anderen Blickwinkel wahrnehmen. Sich mit einer anderen Geschwindigkeit bewegen. Andere Geräusche hören. Zu einer anderen Tageszeit, mit anderen Lichtverhältnissen. Die Ruhe genießen, in der Kälte ausharren, in andere Richtungen hören.
So fing der Tag heute an. Einmal ganz anders.
Normalerweise stehen wir auf, frühstücken gemeinsam und fahren dann mit dem Rad von Dietzenbach nach Offenbach. Immer zur (etwa) gleichen Uhrzeit, immer den gleichen Weg, fünf Tage die Woche. 10 km in 25 Minuten. Alltag.
Dem Alltag entfliehen
Dann war da die Idee, einfach mal etwas zu verändern. Um bewusster zu leben, etwas zu erleben, miteinander zu leben.
Die Änderung war klein, fühlte sich aber groß an: zu Fuß statt mit dem Rad. Deshalb ging es gleich viel früher los als sonst. Die Kleidung war eine andere als für das Rad. Keine Packtasche, sondern ein Rucksack. Und dann ging es los. Zunächst durch die Stadt, die noch schläft. Im Laternenlicht begleitet von anderen Frühaufstehern. Dann in den Wald, der zunächst noch stockfinster und neblig – unheimlich – ist, mit der Zeit dann dämmrig wird. Helligkeit ist ein dehnbarer Begriff, der sich zunächst nur auf den Lichtkegel der Stirnlampe beschränkt, dann immer mehr ausweitet. Auch gibt es ab und zu Geräusche, die sich vom Grundrauschen der Autobahn und dem rhythmischen Scharren der Jackenärmel am Oberkörper abheben. Ansonsten ist es angenehm still.
Manche Abschnitte sehen gehend ganz anders aus als vom Fahrradsattel aus. Vereinzelt treffen wir Passanten, denen wir auch sonst begegnen. Ob sie uns auch wiedererkennen?
Mit Heusenstamm ist die Hälfte der Wegstrecke erreicht. Wieder Laternen und viele Lichter. Der größte Unterschied ist das unterschiedliche Verhalten zwischen Fußgängern und Radfahrern. Als Radfahrer muss man möglichst sichtbar sein, um als Verkehrsteilnehmer wahrgenommen zu werden. Als Fußgänger hat man nie Vorfahrt.
Dann geht es wieder in den Wald, jetzt ist die Autobahn fast unerträglich laut, selbst wenn gerade kein LKW dröhnend hupt. Wie immer ist viel Verkehr, ausnahmsweise aber kein Stau. Nie beneide ich sie, die dort unter der Brücke fahren, mag es noch so sehr regnen oder wie jetzt immer kälter werden. Beim Gehen produziert man deutlich weniger Wärme als beim Laufen. Jetzt aber ist es nicht mehr weit und der Rhythmus längst gefunden.
Schließlich ist das Industriegebiet erreicht und ich reihe mich in den Pendlerstrom von der S-Bahn kommend ein. Svenja steigt ein, hier trennen sich unsere Wege. Mittlerweile ist es hell geworden. Am Ziel habe ich mehr als dreifach so lange wie sonst gebraucht, habe aber dennoch keine einzige Minute verloren.
Weil wir etwas Neues erlebt haben.