„Darf ich sie mal etwas fragen? Was genau ist denn hier eigentlich los?“ – „Na der Hamburg Marathon natürlich!“ Das sollte doch wohl klar sein! Wobei an den Landungsbrücken natürlich immer viel los ist. Auf der St. Pauli Hafenstraße sind aber normalerweise Autos in beide Richtungen unterwegs. Jetzt rennen da unten – von der Brücke aus gesehen – ziemlich viele ziemlich nasse Läuferinnen und Läufer Richtung Osten. Ihr nächstes Ziel: die Binnenalster.
Ich habe hier, nach etwas mehr als 11 km, meinen Rhythmus wie auch eine kleine Gruppe gefunden. Das war am Anfang etwas schwierig. Gern wäre ich beispielsweise mit der Gruppe von Thea Heim gelaufen – Tempomacher, die selbst nicht am Limit laufen, sorgen meist für das beste Tempo – die Elite bekam am Start aber komischerweise 15 Sekunden Vorsprung, da war die Gruppe weg. Ansonsten war der Start angenehm: gut organisierte, fein unterteilte Blöcke, in denen es kein Gedränge gab, da kann sich so mancher Veranstalter eine Scheibe von abschneiden.
Start zum Hamburg Marathon 2019
So aber hatte ich zunächst überhaupt keine Orientierung. Vom Gefühl her lief ich sehr locker los, immerhin war das Ziel für diesen Hamburg Marathon so definiert, dass ich auf der ersten Hälfte möglichst viel Energie sparen wollte, um dann endlich einmal einen „negative split“, also eine schnellere zweite Hälfte, zeigen zu können.
„Let’s be realistic. You break the marathon into two equal halves, the first 20 miles and the last six.” – Ed Eyestone
Kurz vor dem zweiten Kilometer tauchte dann Nikita neben mir auf. Sehr gut: gestern Abend noch hatten wir beim Essen ausgemacht, etwa mit 1h17’30 bis 1h18 anlaufen zu wollen. Jetzt konnten wir uns gegenseitig unterstützen. In Richtung Othmarschen ist die Strecke leicht wellig. Wirklich gleichmäßig konnten wir also nicht anlaufen. Bis Kilometer 5 ging es dann leicht bergauf, sodass die Uhr 18’29 bei der Matte zeigte. Beim folgenden bergab Stück gab Nikita ordentlich Gas, vielleicht, um die wenigen verlorenen Sekunden direkt wieder aufzuholen. Ich wollte es gleichmäßiger angehen und schloss mich zwei anderen Läufern an. Ich sollte ihn nicht wieder einholen. Nach Kilometer 10 (36’45 – sehr gut im Zeitplan) geht es rasant bergab, dann kommen die vielleicht tollsten Kilometer des Hamburg Marathon: leicht bergab und viele jubelnde Zuschauer am Streckenrand. Meinen Rhythmus und eine Gruppe hatte ich gefunden und es rollte einfach nur angenehm. Svenja erspähte ich auf der Brücke und winkte ihr zu, kurz danach stehen Bekannte aus unserer Straße am Streckenrand. Rollen lassen, Energie sparen, Lächeln, die Atmosphäre genießen.
Stimmung am Streckenrand
Obwohl ich noch mehr erhofft hatte, weil im Vorfeld alle die Stimmung in Hamburg hervorgehoben hatten, war trotz des anhaltenden Regens ständig Jubel am Streckenrand. Verwaiste Streckenabschnitte gibt es in Hamburg nicht.
Dann aber kommt – mit Kilometer 14 und meinem zweiten Gel – der Tunnel, der uns an der Binnenalster wieder ausspucken wird. Wegen des Paris Marathon habe ich negative Assoziationen mit Tunneln. Wie um das bestätigen zu wollen melden sich jetzt zum ersten mal meine linke Wade und mein rechter Beinheber. Die linke Wade hatte ich links oben bereits das ein oder andere Mal im Training gemerkt und deshalb Kompressionssocken angezogen. Jetzt aber schmerzte es ziemlich mittig in einem anderen Muskelbereich. Der Beinheber machte wahrscheinlich die unterbewusste Ausgleichsbewegung dazu.
Ruhe bewahren.
Noch aber waren das nur Andeutungen und ausrichten konnte ich sowieso nichts. Also einfach weiter. Locker bleiben und weiter Energie sparen. Um die Alster herum fand ich es dann von der Orientierung her recht schwierig. Gefühlt gab es zu viele Richtungswechsel, obwohl der Streckenplan sehr zielstrebig aussieht.
Unsere Gruppe harmonierte weiterhin gut. Die Führung wechselte – teilweise führte uns auch der ein oder andere Staffelläufer – und wir hatten noch genug Energie, um die größten Pfützen zu umlaufen. Mittlerweile wunderte ich mich aber nicht nur über die Kilometermarkierungen, die vom Gefühl her teils zu früh und teils zu spät standen – sondern auch über die blaue Linie. Diese markiert eigentlich die Ideallinie und ist sogar das Motto des Hamburg Marathon: „run the blue line“. Oft konnte man aber idealer laufen als die blaue Linie, an anderen Stellen standen dafür Absperrgitter bis über die Linie hinweg. Ich ärgerte mich aber nicht, sondern wunderte mich nur.
Was mich hingegen wirklich störte, sind die Plastikbecher an den Verpflegungsstellen. Nicht nur, dass zum Start unzählbar viele Plastiktüten zerschnitten wurden, um Wärme zum Wegwerfen zu bieten – Leute, nehmt alte Kleidung mit! – an den Verpflegungsstellen tut das viele Plastik fast körperlich weh. Hier muss man als Großveranstalter Verantwortung übernehmen! Außerdem ist es natürlich für uns Läufer unpraktisch, weil man die Becher nicht knicken kann.
Geht die Taktik beim Hamburg Marathon auf?
Nun aber genug des Makels. An der Halbmarathon Marke (1h17’24) denke ich noch, dass die Taktik aufgehen könnte. Es rollt gut und bald geht das Rennen endlich los. Auch die Strecke gefällt mir gut. Es ist wunderbar grün um uns herum, sodass sich das Gefühl der guten Luft, wie man es hier oben im Norden so nah an der See sowieso schon hat, noch verstärkt. Kilometer 25 kommt und geht. So langsam schrumpft unsere Gruppe. Weitere vier Kilometer später sind wir nur noch zu zweit und ich bin nach einer Kurve plötzlich allein vorne. Ich denke, dass ich Kurven sehr gut laufen kann. Oft schon konnte ich dadurch Lücken schließen oder sogar Rennen oder Duelle gewinnen. Jetzt wäre ich aber gerne noch etwas hinterher gelaufen, um weiter Kräfte zu sparen.
So fällt die Entscheidung spontan, das Rennen jetzt zu eröffnen. Lange genug gewartet: kommt er, der negative split, jetzt wird ein kontrolliertes Rennen nach Hause gebracht!
Auf geht’s! Zeit, anzugreifen!
Allzu lange habe ich das Gefühl, alles unter Kontrolle zu haben, aber leider nicht. Durch den erhöhten Krafteinsatz – ab Kilometer 30 braucht es selbst um das Tempo „nur“ zu halten mehr Kraft – machen sich jetzt Wade und Beinheber immer deutlicher bemerkbar.
Energetisch, was sonst öfter das Problem war, ist alles in Ordnung. Die Muskeln machen aber einfach zu. Und damit wird der Angriff allzu schnell leider zur Verteidigung. Ein richtig guter Marathon wird es damit nicht, die letzten 5 km geht es nur noch darum, ins Ziel zu kommen.
Das erreiche ich schließlich auch. Zwar nicht freudestrahlend, sondern nass und durchgefroren, aber nicht völlig erschöpft nach 2h41’50. Und wieder um eine Erfahrung reicher. Für den nächsten Versuch im Herbst werde ich nicht nur andere Schuhe nehmen (die Boost-Sohle von Adidas strapaziert schon immer die Waden) und wie immer am Training feilen, sondern außerdem spezielle Beinübungen ins Stabi-Programm aufnehmen.
Irgendwie ist es ja auch immer unabhängig vom Rennergebnis schön, wenn das Rennen schließlich gelaufen ist. Im Vorfeld ist es immer ein Spagat zwischen Schonung und dem Drang zu entdecken. Jetzt endlich kann man ohne Gedanken flanieren und essen, was man möchte. Hamburg ist eine schöne Stadt. Wenn jetzt noch die Plastikbecher wegfallen, kann ich den Marathon empfehlen: die Strecke ist zwar minimal profiliert, aber schön grün und die Stadt ist absolut sportbegeistert.
Der Überblick
Datum: So, 28. April 2019
Ort: Hamburg, Deutschland
Wettkampf: Haspa Hamburg Marathon
Distanz: 42,195 km
Zeit: 2h41’52 min
Platz: 127.
Crew: Svenja
Schuhe: adidas adizero adios Boost 3
Ernährung: 4 Gels, Wasser und Cola
Fotos: Svenja
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