Seid ihr schon einmal die zweite Hälfte eines Marathons schneller gelaufen als die erste? Oder noch anspruchsvoller: seid ihr eure Marathonbestzeit mit einer schnelleren zweiten Hälfte gelaufen? Was sich in der Praxis meist als schwieriger gestaltet als in der Theorie und sich weiterhin nach dem perfekten (Marathon-)Rennen anhört, das ist es auch: so werden Weltrekorde gebrochen!
Die Studie über die Weltrekorde
Um diese Aussage treffen zu können haben sich die Wissenschaftler Diaz, Fernández-Ozcorta, Torres und Santos-Concejero (2019) für ihren Artikel „Men vs. women world marathon records’ pacing strategies from 1998 to 2018“ mit der Renngestaltung der Weltrekorde seit 1998 auseinander gesetzt. Eliud Kipchoge wurde mit seinem Weltrekord aus Berlin in der Studie berücksichtigt, Brigid Kosgei mit ihrem Lauf in Chicago hingegen nicht.
Ähnliche Untersuchungen gab es bereits: Hanley (2016) stellte bei seiner Analyse der Teilnehmer von Olympia- und Weltmeisterschafts-Marathons fest, dass dort ab Kilometer 10 sehr konstant gelaufen wird. Laut Nikolaidis & Knetchtle (2017a, 2017b, 2018) gilt ähnliches für den New York City Marathon: dort läuft man mit einem gleichmäßigen Rennen am schnellsten. Bei diesen Wettkämpfen zählt aufgrund des Prestiges und der Streckenbeschaffenheit viel mehr der Kampf „Mann gegen Mann“ bzw. „Frau gegen Frau“. Wie sieht es aus, wenn es „nur“ um die Zeit – nämlich den Weltrekord – geht? Können wir als Amateure, für die es vor allem um die Zeit geht und nicht um den Sieg, aus den Taktiken der Weltrekorde etwas lernen?
Was uns die Weltrekorde lehren
Die Frage, die sich Sportwissenschaftler stellen, wenn es um die Analyse der augenscheinlich schnellsten Rennen geht, ist die nach der optimalen Rennstrategie: gibt es einen Zusammenhang zwischen der Renngestaltung und der Leistung? Nun, das ist einfach. Bei einem guten Marathon wird man am Ende nicht langsamer.
Auch das hat die Studie festgestellt. Ebenso zeigt die Statistik, dass es in den Zeiten der Elite-Läufer weniger Varianz im Vergleich zu langsameren Läufern gibt. Was aber neben der besseren Vorbereitung auch daran liegen mag, dass Elite-Athleten an einem schlechten Tag eher aussteigen als Amateure, bei denen es vor allem ums Ankommen geht.
Weiterhin laufen, vergleicht man Frauen mit Männern, Frauen eher konstant. Als Gründe dafür nennen die Wissenschaftler das verfügbare Muskelglykogen, die unterschiedliche Ermüdung der Muskulatur und die Entscheidungsfindung (Männer laufen im Allgemeinen aggressiver als Frauen). Alles Faktoren, die sich zwischen den Geschlechtern unterscheiden und Frauen eher für lange Strecken begünstigen als Männer.
Die Rolle der Pacemaker
Vergleicht man die Geschlechter, spielen auch die Hasen eine Rolle. Auf der einen Seite haben hier Frauen den Vorteil, dass es (zumindest theoretisch) Männer gibt, die sie bis zur Ziellinie unterstützen können. Auf der anderen Seite zeigen die Weltrekordrennen, dass die Pacemaker für Männerrennen bisher viel akribischer vorbereitet wurden („We observed how the male world records are achieved with better pacemakers than female records.“) als für Frauenrennen.
Um die Weltrekorde nun zu vergleichen wurden die jeweiligen Rennen in acht 5-km-Abschnitte plus einen neunten 2,195 km langen Abschnitt unterteilt. Es zeigt sich (siehe Abbildung), dass die Männer bei den Rekordrennen schneller wurden, während die Frauen bei den Weltrekorden eher konstant bzw. ungleichmäßig laufen. Das mag allerdings an den bereits erwähnten Pacemakern liegen. Während die Männer-Weltrekorde der letzten Jahre akribisch geplant wurden (was in den sub2-Versuchen gipfelte), scheinen die schnellen Frauen-Zeiten eher Zufallsprodukte zu sein. Entsprechend liegt dort noch viel Potential.
Denn laut Hanley (2014) ist genau die negative-Split Strategie, bei der schnell „gefinished“ wird, die für den Marathon beste Renneinteilung. Begründet wird dies vor allem durch die geringere Reduzierung des Kohlenhydratverbrauchs, den geringeren Sauerstoffverbrauch und die geringere Konzentration des Blutlaktats.
Oder doch nur die Tagesform?
Im Endeffekt zählt aber doch wieder vor allem die Tagesform. Nur wer einen guten Tag erwischt, kann Bestzeit laufen. Insbesondere für einen Weltrekord muss alles passen. Versucht wurden Weltrekorde schon öfter, gefallen sind sie nicht allzu oft, auch wenn man, denkt man an den Berlin-Marathon, schnell einen anderen Eindruck bekommt. Aber trotz der bestmöglichen Inszenierung ist auch dort ein Weltrekord etwas ganz besonderes. Vielleicht müssen wir nur darauf warten, am Tag X einmal die beste Tagesform zu erwischen, um dann aus einem zügigen Anfangstempo heraus noch einmal beschleunigen zu können. Dann können wir auch behaupten, die beste Strategie gewählt zu haben.
Und dafür lohnt es sich zu trainieren!
Quellen
Díaz, J. J., Fernández-Ozcorta, E. J., Torres, M., Santos-Concejero, J. (2019). Men vs. women world marathon records’ pacing strategies from 1998 to 2018. Applied Sports Sciences 19(10), 1297-1302.
Hanley, B. (2014). Senior men’s pacing profiles at the IAAF world Cross Country Championships. Journal of Sports Sciences, 32(11), 1060–1065.
Hanley, B. (2016). Pacing, packing and sex-based differences in Olympic and IAAF World Championship marathons. Journal of Sports Sciences, 34(17), 1675–1681
Nikolaidis, P. T., & Knechtle, B. (2017a). Do fast older runners pace differently from fast younger runners in the “New York city marathon”? Journal of Strength and Conditioning Research
Nikolaidis, P. T., & Knechtle, B. (2017b). Effect of age and performance on pacing of marathon runners. Open Access Journal of Sports Medicine, 21(8), 171–180.
Nikolaidis, P. T., & Knechtle, B. (2018). Pacing in age group marathoners in the “New York City marathon”. Research in Sports Medicine, 26(1), 86–99.
Ein Kommentar
Kommentare sind geschlossen.