Der Hintergrund
Es ist Samstagmorgen, 10 Uhr. Wir stehen an der Startlinie, um 50 km zu laufen. In Worten: fünfzig Kilometer! Unglaublich, aber wahr. So lange war ich laufend bisher noch nie unterwegs. Wir, das sind im Übrigen ich und ein Haufen anderer Verrückter, alle mit einer Startnummer auf dem Bauch. Wobei „Haufen“ keineswegs despektierlich gemeint ist. Das Feld ist sage und schreibe über 1000 Köpfe groß. Und das im Januar. Was vor sechzehn Jahren in sehr kleinem Rahmen begann ist heute zu einer Institution geworden.
Wie komme ich bloß auf diese Idee? Nun, das ist schnell erzählt: Wie ihr hoffentlich alle wisst, trainiere ich mit Svenja zusammen immer Montagabends eine Sportabzeichengruppe. Durch einen großen Anteil von Kräftigungsübungen für Rumpf und Beine sowie viel Koordination ist das Ganze auch für Läufer hervorragend geeignet. So schlossen sich auch einige wenige Mitglieder des RLT Rodgau unserer Gruppe an, welche mich schon im letzten Jahr zu überzeugen versuchten, beim 50er zumindest mal an den Start zu gehen. Nun, in diesem Jahr gelang es und ich meldete mich an. Man muss ja neue Reize setzen!
Ein Ziel bekam ich auch gleich mit auf den Weg. Peter, der übrigens die von Besuchern weniger frequentierten Streckenabschnitte durch Musikbeschallung abwechslungsreicher – es müssen immerhin 10 Runden gelaufen werden – gestaltet, meinte, ich hätte es beim Ultra langfristig gesehen dann geschafft, wenn ich mir eine Startnummer unter den ersten Zehn ergatterte. Die Latte lag weniger hoch als von ihm gedacht, denn zumindest dieses Ziel war kein Problem: ungerechtfertigterweise wurde ich schon im Vorfeld als Mitfavorit genannt und bekam direkt bei der Premiere die Startnummer acht zugeteilt:
[…]Durch die Unruhen in der Ukraine gibt es Probleme beim Visum der ukrainischen Läuferdelegation und der Start von Oleksandr Holovytskyy (2. Platz Rodgau 2013+2014, 100 km Sieger Torhout 2012 und 2013 in 6:48 und 6:58) und weiterer ukrainischer Läufer noch nicht sicher.
Somit ist der Kampf um die Spitzenplätze bei den Herren in alle Richtungen offen und verspricht nicht nur Spannung, sondern auch einen neuen Sieger.
Oben auf der Liste stehen die Schweizer Bernhard Eggenschwiler (2014 3. in Biel, Marathon 2:36) und Donnino Anderhalden (Top 10 Plätze bei verschiedenen Ultras). Auch die Deutschen Carsten Stegner (Top 3 Plätze bei verschiedenen Ultras), Karsten Fischer (FFM- Marathon 2:37) und Markus Heidl (FFM- Marathon 2:46) sind zum Favoritenkreis zu zählen. Michael Sommer (9 facher Deutscher Meister 100 km, bester Deutscher + Altersklassensieger beim IAU 100 km World Championship 2014 in 7:18) lief 2014 50 km in 3:15 und 3:17. In Topform lief 2014 Ulrich Amborn auf (FFM-Marathon 2:43, 2. Platz Churfranken-Lauf).[…]
– Auszug aus der Pressemitteilung des RLT Rodgau
Dabei beachte man: Ich war noch nie so weit gelaufen und mit meinen bisherigen Marathons eher unzufrieden gewesen. In meinen Augen war ich also kein Konkurrent für die alten Ultrahasen. Mir ging es heute vielmehr um einen neuen Trainingsreiz und die andere Sichtweise. Denn normalerweise will ich gewinnen, wenn ich an einer Startlinie stehe, und schnell rennen. Heute nicht, heute geht es ums Unterwegssein. Wenn ich auf die Uhr schaue, dann nur zur Kontrolle. Zu schnell laufen sollte man nicht, sonst wird es hinten raus schmerzhaft. Und zu langsam laufen wollte ich nicht, sonst dauert es ja noch länger. Auf das Unterwegssein muss dann doch irgendwann das Ankommen folgen. 4:10 min pro Kilometer also, ganz entspannt. Zumindest für den Anfang. Nicht zu schnell und nicht zu langsam.
Das Rennen
So ging es dann zunächst auch los: entspannt. Freie Wege, gute Beine – Läuferherz, was willst du mehr? Dazu noch das perfekte Wetter, sogar die Sonne schien. Abwechslung bei den Bodenverhältnissen mit Asphalt und matschigen Waldwegen. Zusätzlich hatte ich mit Mark Scheuring (auf dem Bild rechts), den ich schon aus Goldbach kannte, einen guten Wegbegleiter. Kurz vor dem Start hatten wir festgestellt, dass wir beide Richtung 3h30 laufen wollten, so bot es sich an, zunächst gemeinsame Sache zu machen. Und wir harmonierten gut. Zu Beginn meist nebeneinander liefen wir bei den Überrundungen dann immer abwechselnd vorne. Denn mit dem Überrunden ging es schon früher los als erwartet. Wir waren noch keine zwei Runden gelaufen, gerade erst auf Betriebstemperatur, wenn man so will, da wurden die Waldwege deutlich voller. Bis hierhin waren wir übrigens perfekt im Plan, nach 10 km zeigte die Uhr 41:23 min.
Die folgende dritte Runde war rückblickend die schlimmste. Das Feld hatte sich noch nicht recht entzerrt, da wollten wir schon mitten hindurch. Teilweise kein einfaches Unterfangen, wenn in großen Gruppen nebeneinander gelaufen wird. Der Laufrhythmus wurde immer wieder unterbrochen, dafür kam ich die vollen 50 km ohnen einen einzigen Rempler aus. Zum Glück besserte es sich auch mit der Zeit – es wurde einfach weniger geschwatzt. Nur an der Verpflegungsstelle hatten wir Schwierigkeiten, weil die meisten zum Gehen übergingen oder gar stehen blieben. Nur kurz dazwischen zu greifen gelang nicht immer – einmal lief ich ohne Verpflegung weiter, einmal machte ich noch einen Schritt zurück.
Das Zwischenfazit nach 20 km (mit 1:22:42 h weiterhin leicht schneller als geplant unterwegs) fiel positiv aus. Mark und mir ging es gut, wir wechselten uns weiterhin in der Führungsarbeit ab und zusätzlich war uns beiden wider Erwarten keineswegs langweilig. Es gab viel zu sehen und immer wieder aufmunternde Anfeuerungsrufe. Besonders fiel mir beispielsweise auf, dass nur die absoluten Ausnahmen mit Trinkrucksäcken liefen. Warum sieht man also immer mehr dieser komischen Kauze, die die Dinger sogar in der Stadt aufsetzen? Egal. Und warum stellten sich manche Fotografen an die dunkelsten Stellen im Wald, wenn überall sonst doch viel bessere Lichtverhältnisse waren? Geschenkt. Das einzige, was leicht störte: wir liefen falsch herum, im Trend nach rechts. Von der Bahn sind wir gewohnt, andersherum zu laufen. Früher war das wohl noch anders gewesen, aber dann wechselte man die Richtung, um dem Wind auf den Feldern zu entgehen. Tja, der blies uns dennoch ins Gesicht.
Und dann war auch schon die Hälfte geschafft. Nach 1:43:12 h, bei weiterhin gutem Befinden. Gefühlt waren auch immer mehr bekannte Gesichter unterwegs. Svenja half von Beginn an an der Verpflegungsstelle, aber unerwarteterweise standen plötzlich meine Eltern am Streckenrand und feuerten an. Außerdem tauchten Lea und Hendrik auf. Dazu natürlich Reinhold als LaufReporter, Lorenz aus Jügesheim und so viele andere. Außerdem kannte ich einige, die selber liefen.
Und dann kam km 30 (2:03:38 h). Weiter war ich in diesem Winter noch nicht gelaufen. Von müden Beinen oder einem Einbruch aber keine Spur. Im Gegenteil, wir liefen immer schneller, wie von selbst. Immer öfter mit Kilometern von unter 4 Minuten. Nach 20:05 min als Rundenzeit ließ mich Mark laufen. Und ich flog weiter, wie von selbst: 19:53 und 19:48 für die Runden Nummer acht und neun. Keine Frage, ob ich heute ins Ziel kommen würde! Vom anfänglichen elften Gesamtrang war ich mittlerweile auch auf den sechsten vorgelaufen. Und selbst die Marathonzwischenzeit war mit 2:52:23 h auch nicht von schlechten Eltern.
Auf der letzten Runde wurde es dann aber doch noch ein wenig eklig. Irgendwann müssen sie ja auch müde werden, die Beine. Aber es war ja schon die letzte Runde, da gab es kein Halten. Mit 20:33 min kam ich glimpflich davon. Im Ziel standen dann 3:23:57 h auf der Uhr. Was ein Debüt. Mit deutlich „negativem“ Split, besser ging nicht! Als i-Tüpfelchen zum sechsten Platz bedeutet die Zeit nämlich auch einen neuen Vereinsrekord.
Fazit
Ein langer Artikel über einen langen Lauf. Tja, da müsst ihr durch, ein Ultra ist kein Zuckerschlecken! Am Ende ist immer Beißen angesagt. Es war ein lohnender Ausflug ins Ultradorf, der besser glückte als vorher gedacht. Da wussten die Organisatoren im Vorfeld wohl eindeutig mehr als ich!
Für mich geht es jetzt aber wieder um schnelle Zeiten, der nächste richtig lange Lauf steht erst wieder beim Frankfurt Marathon auf dem Programm.
Fotos von Hendrik. Danke dafür!
Herzlichen Glückwunsch. Ein super gleichmäßiger Lauf und du hast dabei auch noch so frisch ausgesehen. Da geht noch mehr.