Vielleicht hat der ein oder andere sich meine Trainingsaufzeichnungen angesehen. Beim Intervalltraining dienstags, mit der Spiridon Leistungsgruppe unter Trainer Kurt Stenzel, gibt es häufig die Anmerkung „mit Frequenzwechsel“. Was bedeutet das eigentlich, und warum machen wir das?
Geschwindigkeit ist das Produkt aus Schrittlänge und Schrittfrequenz
Eine Formel, die jedem einleuchten sollte. Eine Änderung in der Schrittlänge wirkt sich ebenso auf die Laufgeschwindigkeit aus wie eine Änderung der Trittfrequenz. Wer sein Tempo steigern möchte, muss entweder die Länge seiner Schritte verlängern oder aber die Anzahl seiner Schritte pro Minute erhöhen. Oder beides. Gesagt, getan!
Vom „natürlichen“ in den „unnatürlichen“ Laufstil wechseln.
Die theoretische Grundlage stammt von keinem geringeren als dem ungarischen Trainer Mihali Igloi – und auch Kurt hat für sich selbst empirisch das Gleiche herausgefunden. Demnach gibt es bei jedem Läufer zwei unterschiedliche Laufstile. Zum einen den „natürlichen“, bei dem Schrittlänge und –frequenz von selbst kommen. Bei starker Erschöpfung soll dann allerdings dieser natürliche Laufstil bewusst verändert werden. Läufer, die vorher mit einem langen Schritt und niedriger Frequenz unterwegs waren, verkürzen die Schrittlänge etwas und erhöhen dafür drastisch die Frequenz. Andere, die von Natur aus mit einer hohen Frequenz und dafür kurzen Schritten laufen, logischerweise umgekehrt.
Dadurch werden die Muskelfasern etwas anders beansprucht. Für den Endspurt können dann jene in Anspruch genommen werden, die im bisherigen Rennverlauf geschont wurden. Der Wechsel zwischen den unterschiedlichen Schrittarten muss allerdings trainiert werden, um auch im Zustand der Erschöpfung abgerufen werden zu können.
In der Praxis
Weltklasseläufer folgen, ob instinktiv oder bewusst bleibt Spekulation, dieser Theorie und wechseln zum Ende von Rennen den Laufstil. In einer Studie von 2008 untersuchten Enomoto und Kollegen die Laufgeschwindigkeit, die Schrittfrequenz sowie die Schrittlänge von den besten – nämlich den drei Erstplatzierten der Weltmeisterschaften 2007 über 10000 m: Bekele, Sihine und Mathathi – und trugen die drei Parameter für jede der 25 Stadionrunden auf (siehe Abb. 1).
Glücklicherweise gibt es ein Video des Rennens. Sogar mit bloßem Auge lassen sich die Änderungen der Laufstile beobachten:
WC Men’s 10,000m Bekele in Osaka 2007 – YouTube
In Abbildung 1 sind die Ergebnisse der Studie grafisch dargestellt. Wie zu erwarten war liefen die drei Erstplatzierten über lange Zeit dieselbe Geschwindigkeit, erst bei der Schlussrunde kommt es zu größeren Unterschieden. Das Interessante dabei ist die unterschiedliche Art und Weise, wie diese Geschwindigkeiten gelaufen werden.
Über die ersten 9000 m läuft Mathathi mit einer relativ hohen Frequenz und eher kurzen Schritten. Bekele macht das Gegenteil und läuft mit einer relativ langsamen Frequenz und sehr langen Schritte. Sihine wählt einen Mittelweg und liegt bei beiden Variablen zwischen seinen Kontrahenten. Weiterhin interessant: Bekele, als der Kleinste mit einer Körpergröße von 1,60 m, macht längere Schritte als Sihine (1,71 m) und Mathathi (1,67 m).
Im Verlauf des Rennens werden die Splits immer schneller: zunächst wurde im Bereich von 2’42-2‘45/km gelaufen, der letzte Kilometer wurde dann in 2’30 (Bekele), 2’33 (Sihine) und 2’36 zurückgelegt, mit Schlussrunden von 55‘’51, 58‘’66 und 62‘’16. Wie bewerkstelligten die drei Athleten die schnellere Laufgeschwindigkeit?
Bekele hielt seine Schrittlänge aufrecht, steigerte dabei die Frequenz von ca. 190 Schritten pro Minute auf schier unglaubliche 216 Schritte/min. Sihine, der Zweitplatzierte, erhöhte auf der drittletzten Runde seine Schrittfrequenz, auf der letzten Runde dann zusätzlich die Schrittlänge. Mathathi hingegen, der während des Rennens durchgängig die höchste Schrittfrequenz hatte, verlangsamt diese ein wenig und erhöht dafür die Schrittlänge auf der letzten Runde deutlich.
Was es bedeutet
Jeder Läufer und jede Läuferin hat seinen bzw. ihren ganz eigenen Laufstil. Es gibt unterschiedliche Wege, eine gewisse Geschwindigkeit zu realisieren. Wenn es aber um den Endspurt geht, wird der Parameter deutlich erhöht, der bis dahin am niedrigsten war. Wer mit langen Schritten läuft, muss am Ende die Schrittfrequenz erhöhen, wer mit hoher Frequenz läuft, muss im Finale die Schritte länger ziehen. Der Faktor, der während des natürlichen Laufstils geschont wird, sorgt im Endspurt für den drastischen Geschwindigkeitszuwachs.
Weitergedacht
Konsequent weitergedacht könnte man das Prinzip der Erholung der unterschiedlich beanspruchten Muskelfasern dafür nutzen, den Laufstil während langer Rennen häufiger zu wechseln. Es würde sicherlich einiges an Konzentration brauchen, dennoch könnte es, theoretisch, dabei helfen, schneller zu laufen.
Quellen:
Enomoto et al.; 2008. Biomechanical analysisof the medalists in the 10,000 metres at the 2007 World Championships in Athletics, New Studies in Athletics
Magness, Steve; 2010. Understanding Stride Rate and Stride Length. URL: http://www.scienceofrunning.com/2010/11/speed-stride-length-x-stride-frequency.html
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