Von den Besten lernen: Marathon-Interview mit Lisa Hahner

Lisa Hahner – die eine Hälfte der Hahnertwins, den weltweit schnellsten Marathonzwillingen. Lisa und Anna lieben das Laufen, insbesondere die Königsdisziplin Marathon. Ihr großes Ziel: Olympia 2016 in Rio de Janeiro!

Lisa Hahner läuft beim Frankfurt Marathon 2015 Bestzeit: 2h28‘39 Foto: Martin Luprich
Lisa Hahner läuft beim Frankfurt Marathon 2015 Bestzeit: 2h28‘39
Foto: Martin Luprich
Dabei stiegen die Zwillinge erst sehr spät in den Laufsport ein – mit 17 Jahren. Der Aufstieg in die deutsche Spitze ging rasant. Nach Verletzungspech in den letzten zwei Jahren lief Lisa in Frankfurt ein grandioses Rennen mit 2h28’39, eine deutliche Bestzeit und ein großer Schritt in Richtung Olympische Spiele in Rio de Janeiro. Noch ist ihre Zwillingsschwester Anna auf der Straße schneller, die besseren Zeiten auf den Unterdistanzen hat allerdings Lisa vorzuweisen – das lässt hoffen, auf noch schnellere Zeiten auch auf den langen Kanten.

 

Laufen hilft will von den Besten lernen und freut sich deshalb über die Möglichkeit des exklusiven Interviews mit Lisa:

Markus: Hallo Lisa, herzlichen Glückwunsch zum klasse Rennen beim Frankfurt Marathon! Ab welchem Zeitpunkt im Rennen wusstest Du, dass es richtig gut wird?

Lisa: In Frankfurt hatte ich bei Km 27 ein sehr gutes Gefühl, da waren es noch gut 15 km. Die Distanz war für mich greifbar und ich war voller Optimismus. Sicher kann man sich im Marathon aber erst nach 42 km sein, denn die letzten 195m gehen immer.

Markus: Zwei Jahre Verletzungspech liegen hinter Dir. Wie hast Du es geschafft, Dich trotz der Rückschläge immer wieder zu motivieren? Hast Du mal ans Aufhören gedacht? Und viel wichtiger: was machst Du in Zukunft, um weitere Ausfälle zu vermeiden?

Lisa: Ans Aufhören habe ich nie gedacht. Laufen ist meine große Leidenschaft und ich war überzeugt davon, mit ausreichend Geduld wieder topfit zu werden. Außerdem war ich in den 2 Jahren ja nicht durchgehend verletzt. Sowohl im Frühjahr 2014 als auch in diesem Frühjahr habe ich eine fast komplette Marathonvorbereitung gemacht. Wir schauen immer wie und wo wir uns verbessern können, sowohl im Training als auch in der Regeneration. Das ist ein ständiges Lernen.

Markus: Hast Du ein Lieblingsmarathontraining? Gibt es eine besonders wichtige Einheit bzw. Einheitenkombination für den Marathon? Was ist Dein Tipp zum Laufen allgemein oder auch speziell zum Marathon?

Lisa: Ein Specialblock ist so ein besonderes Marathontraining. Hier liebe ich das Gefühl am Abend, wenn der Trainingstag vorbei ist, denn der ist sowohl physisch als auch mental sehr fordernd. An solch einem Tag haben wir sowohl am Morgen als auch am Abend eine sehr intensive Trainingseinheit. An dem Tag kommen insgesamt mehr als 40 km zusammen und diese in hohen Geschwindigkeiten. Das ist eine Grenzbelastung und gleichzeitig bringt es uns im Training auf die nächste Stufe.
Mein allgemeiner Lauftipp ist, mit einer gewissen Lockerheit und Freude an die Sache heranzugehen. Wer mit einem Lächeln läuft, der hat mehr Spaß und das wiederum macht schnell.

Markus: Deine Schwester lief in Berlin. Trotz richtig gutem Training wollte es so gar nicht gehen. Wie geht man mit einer solchen Situation um? Wäre es eine Option gewesen auszusteigen, um es in Frankfurt erneut zu versuchen? Was ist mit der mentalen Vorbereitung: lässt man im Vorfeld besser nur positive Gedanken zu oder beschäftigt man sich auch mit dem Fall, dass nichts klappen will? Im Marathon kann doch alles passieren.

Lisa: Wenn wir an der Startlinie eines Marathons stehen, dann haben wir das Ziel einen Marathon zu laufen, Aussteigen ist keine Option. Das darf gar nicht im Kopf sein, sonst spukt das immer wieder in Gedanken rum. Nicht jeder Marathon läuft gleich gut und man entwickelt sich mit jedem weiter. Bei der mentalen Vorbereitung finden wir im Vorfeld Lösungen für jede Situation. Wie motiviere ich mich, wenn die Beine schwer werden? Wie schaffe ich es gleichzeitig fokussiert und locker zu bleiben?

Markus: Ihr seid bekannt für Eure Motivations“tricks“ – im Rennen wird nur gelächelt, verschiedenen Abschnitten werden Lieder zugeordnet und jeder Gullideckel gibt Euch Energie wie die Pfeilfelder bei Super Mario. Woher habt ihr solche Tricks und wie wichtig sind sie? Kann sie jeder anwenden? Müssen die Tricks im Training geübt werden? Und noch viel wichtiger: welche wirken in Frankfurt?

Lisa: Wir machen die Motivationstechniken, die zu uns passen. Da sind auch Anna und ich verschieden. Viele Ideen kommen von unserem Trainer Thomas Dold und manche stammen von uns selbst. Wichtig ist, dass wir das Gefühl haben, dass sie uns helfen, schnell zu laufen. Die Tricks kann jeder anwenden und individuell für sich anpassen. Wer keinen großen Bezug zur Musik hat, kann z. B. jedem Abschnitt einen schönen Ort zuordnen oder ein leckeres Essen. Ganz egal was, Hauptsache es macht gute Gefühle und lässt einen schnell laufen. Es bietet sich an diese Techniken im Training schon zu testen, denn sie unterstützen gleichzeitig auch das Training. In Frankfurt hatte ich den Marathon in 5km-Abschnitte unterteilt und jedem Abschnitt ein Lied zugeordnet. Außerdem gab es zu jedem Abschnitt ein Plakat, das in meinem Hotelzimmer hing, mit vielen Bildern, Sätzen und Zeichnungen. So bin ich den Marathon schon sehr oft im Kopf gelaufen und war top vorbereitet für Sonntag.

Markus: Außerdem seid Ihr für Eure gute Organisation bekannt, habt mehrere Tempomacher. Nach welchen Kriterien werden die ausgewählt? Kann man sich bewerben? Trainiert ihr im Vorfeld zusammen, um Euch aufeinander einzustimmen?

Lisa: Die Grundvoraussetzung ist natürlich, dass der Pacemaker in der Lage ist, das angepeilte Tempo zu laufen. Außerdem ist uns wichtig, dass wir uns auch menschlich sehr gut verstehen. Eine positive Stimmung im Vorfeld und das Gefühl, ein gemeinsames Ziel zu verfolgen, das pusht und treibt an. Manche Tempomacher sprechen wir an, andere sprechen uns an. Matthias Müller z. B. kommt auch regelmäßig zu uns, um gemeinsam zu trainieren. Mittlerweile gibt es eine handvoll Männer, mit denen wir schon oft gelaufen sind und wo wir wissen, dass es super passt.

Markus: Dadurch, dass Eure Ziele im Vorfeld bekannt sind und ihr oft im Fernsehen zu sehen seid, schließen sich immer sehr viele Läufer Euren Gruppen an. Stört Dich das? Wäre ein reines Frauenrennen besser? Oder gibt es Motivation, wenn die Gruppe mit der Zeit immer kleiner wird?

Lisa: Gerade auf den ersten Kilometern sorgen unsere Tempomacher nicht nur für die richtige Pace, sondern sie sind auch eine Art Bodyguard. In Frankfurt hatte ich eine gute Gruppe, es gab kaum Reibereien und es pusht natürlich, wenn man merkt, dass die Gruppe immer kleiner wird.
Ein reines Frauenrennen hat auch seinen Reiz. Anna ist im Juli beim Rio Marathon und ich beim Halbmarathon in einem reinen Frauenfeld gelaufen. Da geht es weniger um die Zeit als um den direkten Wettkampf.

Markus: Ihr habt beide auf Lehramt studiert. Bist Du Dir deshalb bewusster, Vorbild zu sein? Wie gehst Du mit der Rolle um? Was können wir von Dir bzw. Euch lernen?

Lisa: Ich bin mir bewusst, dass ich eine gewisse Vorbildfunktion habe. Ob das Bewusstsein durch meinen Bachelor of Education kam, kann ich nicht einschätzen.
Ich habe es selbst erlebt, dass mich ein Vortrag von Joey Kelly inspiriert hat, mit dem Laufen zu beginnen. Daher freut es mich sehr, wenn ich von anderen Menschen höre, dass wir sie motivieren, selbst mehr Sport zu treiben. Wir verfolgen unsere Ziele mit 100% Begeisterung und Leidenschaft und richten unseren Fokus immer auf das Positive.

Markus: Hast Du vor, nach der Leistungssportkarriere noch als Lehrerin zu arbeiten? Bleibt es dann bei Mathe und Französisch oder muss Sport mit dazu?

Lisa: Im Moment bin ich voll und ganz Läuferin. Durch die Laufseminare, die wir geben und unseren Hahnertwins Club üben wir durchaus eine Art Lehrerrolle aus. Das macht sehr viel Spaß und hier sehe ich mich auch in Zukunft. Wir haben noch viele Ideen, die darauf warten, umgesetzt zu werden.

Markus: Noch zwei etwas ungewöhnliche Fragen zum Schluss: 1.) wenn Du ein Tier wärst, welches wärst Du dann? Und warum kann dieses Tier gut Marathon laufen?

Lisa: Ich wäre eine Gazelle. Ich finde es faszinierend mit welch einer Leichtigkeit, Eleganz und Schnelligkeit sie sich fortbewegen. Von der Körperform her hat eine Gazelle auch eine gewisse Ähnlichkeit mit Langstreckenläufern. Schlank gebaut, lange Beine, außerdem sind sie schnell und ausdauernd.

Markus: 2.) Meine Frau hat Schwierigkeiten, passende Hosen zu finden. Ihr beide seid aber nochmal dünner: Wo kauft Ihr Eure Jeans?

Lisa: Wir können sogar die Standardware kaufen. Größe 25 passt fast immer und wenn eine von uns beiden eine coole Hose sieht, dann kauft sie meistens für die Schwester gleich eine mit. Das ist ein weiterer Zwillingsvorteil.

Markus: Vielen Dank für Deine Zeit. Zunächst gute Erholung, danach weiterhin schnelle Beine und viel Erfolg in Richtung Rio!