Wenn Träume wahr werden – Julian Flügel im Rio-Interview

Foto: Herkert
Foto: Markus Herkert

„Bitteres Olympia-Aus für Hendrik Pfeiffer. Der Marathon-Aufsteiger kann den Olympia-Marathon am 21. August nicht bestreiten. Eine Achillessehnenverletzung macht einen Strich durch die Rio-Rechnung. Der 23-Jährige muss operiert werden.“ – so titelt laufen.de am 15.07. um 9:43 Uhr. Sehr bitter für den sympathischen Athleten aus Wattenscheid, der durch die sportlich sehr faire Entscheidung Größe zeigt.

Denn so werden andere Olympia-Träume doch noch wahr. Julian Flügel (Team Memmert), der schon vor einem Jahr im Interview im Hinblick auf den Berlin-Marathon erzählte, dass sein allergrößter Traum eine Teilnahme bei den Olympischen Spielen sei, war erst nicht dabei, dann doch – und wurde im letzten Moment noch von Hendrik verdrängt. Der Rückblick:

Berlin Marathon. Julian läuft zusammen mit Philipp Pflieger volles Risiko auf die damalige DLV-Norm von 2h12’15 an. Philipp kommt nach 2h12’50, Julian nach 2h13’57 ins Ziel. Die Norm verpasst. Anfang des Jahres wird dann die nationale Norm der internationalen angepasst, 2h14 sind gefordert. Damit sind Arne, Philipp und Julian qualifiziert. Verdrängt werden kann nur, wenn andere schneller sind. Julian versucht sich in Hamburg zu steigern, wird aber von einer Verletzung gebremst und rettet sich nach 2h17 ins Ziel.

Die Augen sind jetzt auf Düsseldorf gerichtet. Doch obwohl Andrè Pollmächer seine Karriere beendet, Falk Cierpienski passen und Manuel Stöckert wegen einer Krankheit absagen muss, schafft es der junge Hendrik Pfeiffer, sich durch nicht einfache Bedingungen zu kämpfen und die Norm deutlich zu unterbieten: 2h13’09. Julian gratuliert als Erster, wird aber dennoch zum tragischen Vierten, zum Ersatzmann. Für ihn folgen fünf Wochen verletzungsbedingte Zwangspause. Die Leichtathletik-EM fordert dann die Vorbereitung im Hau-Ruck-Verfahren. Er schafft es rechtzeitig, wird in Amsterdam sogar bester Deutscher. Vor Ort versucht sich auch Hendrik, muss aber einsehen, dass trotz aller Bemühungen eine Vorbereitung auf den Olympia-Marathon keinen Sinn macht. Sportlich fair gibt er Julian seine Chance. Dessen Traum von Olympia wird damit doch noch wahr – Julian im Rio-Interview:

Markus: Julian, herzlichen Glückwunsch zur Nominierung für die Olympischen Spiele in Rio de Janeiro! Was ist das für ein Gefühl? Oder besser: für Gefühle? In Berlin, beim Herabsetzen der Norm auf 2h14, in Düsseldorf und dann jetzt?
Julian: In Berlin habe ich mich riesig über meine erste 2:13er Zeit gefreut. Natürlich hatte ich die damalige Norm von 2:12:15 im Kopf, aber es war für mich schon ziemlich unwahrscheinlich, dass ich diese Zeit laufe. Von daher war Erfolg oder Misserfolg in Berlin nicht von dieser 2:12:15 abhängig.
Als die Norm herabgesetzt wurde, war das für mich zunächst kein entscheidender Punkt. Ich habe schon zu diesem Zeitpunkt viele Gratulationen erhalten, habe aber immer versucht, die Euphorie etwas zu bremsen. Mir war schon klar, dass damit noch längst nichts entschieden ist. Nicht nur Hendrik hatte ja noch seinen Marathonstart angekündigt, sondern auch unter anderem Andrè Pollmächer und Manuel Stöckert. Ich wollte mich einfach noch nicht zu früh freuen.
In den Tagen vor Düsseldorf habe ich ehrlich gesagt schon immer mehr daran geglaubt, dass es für mich reichen könnte, nachdem einer nach dem anderen seinen Start abgesagt hat und nur noch Hendrik übrig geblieben war. Als er es dann tatsächlich geschafft hatte, meine Zeit zu schlagen, war das schon erst einmal ein kleiner Schock. Aber so ist das im Sport eben dachte ich mir. Zumindest ging es nicht um nur ein oder zwei Sekunden, dann hätte ich mich wirklich geärgert und mir wahrscheinlich gedacht „Was wäre gewesen, wenn ich in Berlin einfach etwas langsamer angegangen wäre?“. So war es für mich in Ordnung, Hendrik hat einfach die bessere Leistung gebracht und sich den Startplatz absolut verdient.
Dass es jetzt doch noch funktioniert hat, kam für mich sehr überraschend. Ich freue mich natürlich sehr, auch wenn es unglaublich schade ist für Hendrik. Dass er freiwillig auf seinen Platz verzichtet, zeichnet ihn wirklich als ganz großen Sportsmann aus. Das hätte sicher nicht jeder in seiner Situation getan. Er hätte sich ja auch einfach nach Rio „schleppen“ können und dort dann nach der Hälfte des Rennens aussteigen können.

Markus: Ist Deine Freude unbeschwert? Als Ersatzmann musstest Du quasi darauf „hoffen“, dass sich einer der drei anderen verletzt. Ihr kennt Euch untereinander, wie geht man damit bzw. miteinander um, wenn es eigentlich heißt: Du oder ich?
Julian: Klar fühlt man da mit dem anderen mit. Ich hätte es ihm auf jeden Fall gegönnt. Auf eine Verletzung der anderen Dreien habe ich nicht gehofft, ich hatte das Thema Olympia eigentlich schon im Kopf abgehakt. Hendrik hat aber mit Sicherheit noch viele gute Marathon-Jahre vor sich und ich bin sicher, er ist einer der vielversprechendsten Kandidaten für 2020.

Foto: Markus Herkert
Foto: Markus Herkert

Markus: Wie geht es jetzt weiter? Schon auf Amsterdam war Deine Vorbereitung verkürzt, jetzt bleiben bis zum 21. August nur noch fünf Wochen Zeit. Für eine Marathonvorbereitung! Wie schaffst Du es, in etwas mehr als einem Monat fit für 42 km zu werden? Gibt es noch ein Trainingslager?
Julian: Das wird in der Tat eine Herausforderung. Die Vorbereitung ist jetzt sicher nicht optimal, aber ich bin zuversichtlich, dass ich eine gute Leistung in Rio bringen kann. Ich werde nicht mehr ins Trainingslager fahren, sondern bereite mich konzentriert zu Hause vor. Ich muss einfach noch drei gute lange Läufe um die 40km schaffen, dann sollte alles im grünen Bereich sein. Die Unterdistanzleistung scheint ja zu passen, wie ich in Amsterdam festgestellt habe.

Markus: Wird das Training auch an anderer Stelle angepasst? Nicht nur in Bezug auf die verkürzte Vorbereitungsdauer, sondern auch bzgl. eines möglichen taktischen Rennverlaufs, auf das Klima oder ähnliches?
Julian: Das Klima muss man sicher berücksichtigen in der Vorbereitung. Ich bin den ersten langen Lauf von 45 km am Sonntag schon mittags um 14 Uhr bei 26 Grad gelaufen. Mit solchen Einheiten müsste ich gut auf das Klima eingestellt sein.

Markus: Wie sind Deine Ziele für das Rennen? Wieder bester Deutscher, wie in Amsterdam?
Julian: Ein solches Ziel wäre aus meiner Sicht nicht sinnvoll, da ich das nicht selbst in der Hand habe. Ich hoffe, dass alle drei Deutschen gut durchkommen. Wenn das der Fall ist, bin ich sicher nicht bester Deutscher. Ich will einfach eine für mich gute Leistung bringen und hoffe darauf, dass ich auf der zweiten Hälfte noch einige Konkurrenten einsammeln kann, ähnlich wie in Amsterdam.

Markus: Wie war das Rennen bei der EM? Viele der Konkurrenten von dort werden auch in Rio am Start sein. Kann man aus solchen internationalen Wettkämpfen für die nächsten lernen? Was?
Julian: Das Rennen war schon ziemlich verrückt. Wir sind sehr schnell angegangen, und das trotz der sehr schwierigen Strecke und der Wärme. Für mich ist es auch im Hinblick auf Rio ein tolles Zeichen, dass ich das Tempo noch mit am besten halten konnte. Ich war von der Bestzeit her ja nur der 52. im Rennen, daher war der 24. Platz ein riesiger Erfolg.

Markus: Wie sieht es eigentlich mit der Finanzierung aus? Kann man es sich leisten, bei Olympia teilzunehmen? Hast Du schon Urlaub eingereicht? Fliegst Du allein oder kommen Freundin und Trainer mit?
Julian: Ich habe sowieso bereits den kompletten August Urlaub eingereicht, da wir gerade in der letzten Woche umgezogen sind und ich ab Ende August zwei Monate Elternzeit mache. Meine Frau kann somit auch nicht mit nach Rio kommen, denn der errechnete Geburtstermin liegt 6 Tage nach dem Olympischen Marathon. Ob mein Trainer die kostspielige Reise auf sich nimmt, ist noch nicht sicher. Da kommen schon ein paar Tausend Euro zusammen, und das für wenige Tage vor Ort.

Markus: Wann geht die Reise los? Wirst Du/werdet Ihr vor Ort noch etwas von den anderen Wettkämpfen mitbekommen oder wird sich nur auf den eigenen Lauf konzentriert (der Männer-Marathon ist am letzten Tag der Olympischen Spiele)?
Julian: Ich habe bisher noch gar keine Details zum Reiseverlauf. Von den anderen Marathonis habe ich nur gehört, dass es am 17.8. losgehen soll mit dem Flieger. Ich werde also wahrscheinlich nur 5-6 Tage vor Ort sein. Natürlich hoffe ich, dass ich auch den einen oder anderen Wettkampf live sehen kann. Im Vordergrund steht aber ganz klar das eigene Rennen und dem wird alles untergeordnet. Das ist das größte Rennen meines Lebens, in dem ich auch mein Land vertreten darf, daher werde ich sicher keine Kompromisse in der Vorbereitung und Fokussierung auf das Rennen eingehen. Das bin ich auch Hendrik schuldig denke ich.

Markus: Was sagst Du generell zu Rio de Janeiro bzw. Brasilien? Man hört ja nicht nur Gutes, sondern auch von sozialen Disparitäten, Gewalt, Korruption, Rassismus, Diskriminierung und Rechtlosigkeit. Kann man das als Sportler ausblenden?
Julian: Man sollte diese Themen auch als Sportler grundsätzlich nicht vergessen. Es wird mich aber nicht in der Vorbereitung auf das Rennen vor Ort beeinflussen, denke ich. Soziale Missstände gehören gerade im Zusammenhang mit einer solchen Großveranstaltung angesprochen und diskutiert, allerdings sehe ich das eher als Aufgabe der Politik und der Funktionäre.

Markus: Alles Gute Dir, Julian! Viel Erfolg, genieße deinen wahrgewordenen Traum – und an dieser Stelle natürlich die besten Genesungswünsche an Hendrik!
Julian: Vielen Dank, das werde ich sicher! Den Genesungswünschen kann ich mich nur anschließen.