Fährt man mit dem Auto nach Österreich, dort über den Fernpass oder auf der A12 bis nach Imst und folgt anschließend dem Schild „Pitztal“, trifft man schließlich auf dem Parkplatz vor Plangeroß ein. Von diesem Parkplatz sind es ca. zwei Stunden Fußmarsch bis zur Rüsselsheimer Hütte, von dort schließen sich weitere zwei Stunden Zustieg durch das Weißmaurachkar zum Weißmaurachjoch an. Dann hat man den Startpunkt des originalen Mainzer Höhenwegs erreicht.
Der vom DAV Mainz betreute Mainzer Höhenweg verläuft auf dem Geigenkamm zwischen dem Pitztal und dem Ötztal in Tirol. Vom Weißmaurachjoch (2959 m) geht es über den Grat bis hin zum Pitztaler Jöchl (2996 m). Obwohl von einem „Weg“ gesprochen wird, handelt es sich um einen hochalpinen Steig über fünf Dreitausender, für den man bei guten Verhältnissen etwa 10-12 Stunden Gehzeit kalkulieren muss. Unterwegs hat man Sicht auf die Wildspitze, die Ötztaler und die Stubaier Alpen sowie den Kaunergrat.
Als Hommage an diesen originalen, hochalpinen und anspruchsvollen Höhenweg in den Ötztaler Alpen in Tirol gibt es um Mainz einen „kleinen Bruder“: den Kleinen Mainzer Höhenweg. Dieser führt über 31,7 km und etwa 450 Höhenmeter von Mainz-Laubenheim nach Mombach – in einem großen Bogen also südwestlich um Mainz herum.
Wegen der Streckenlänge und der kurzen Anfahrt sollte dieser meine zweite FKT werden:
Der Kleine Mainzer Höhenweg als zweite FKT
Von der Route her sah der Kleine Mainzer Höhenweg nicht allzu anspruchsvoll aus: zu Beginn und etwa in der Mitte eine Steigung, ansonsten nur durch die Weinberge und über Felder. Da könnte man doch die aktuelle Form nutzen und einen Rekord mitnehmen. Die Realität sah dann ein wenig anders aus, aber die überrascht uns ja gerne einmal. Und nur so erlebt man was!
Ich hatte das Glück, dass Svenja mit nach Mainz fuhr und dort das Auto vom Start in Laubenheim zum Zielpunkt in Mombach brachte, um ebenda selbst eine Runde zu laufen. So musste ich nicht mit den Öffentlichen zurück nach Laubenheim. Stattdessen nutzten wir die Zeit nach dem Lauf für ein spätes Frühstück im Sonnenschein – was zu empfehlen ist –, außerdem hatte ich daheim noch eine Coladose gefunden, die ich glücklicherweise einpackte und direkt nach dem Lauf trank – was sehr zu empfehlen ist! So war ich im Anschluss nicht so sehr im Eimer wie noch in der Woche zuvor nach dem Rheingauer Klostersteig. Doch von vorne:
Nach Eintreffen auf dem Parkplatz in Mainz-Laubenheim war der Start des Kleinen Mainzer Höhenwegs schnell gefunden: Schautafeln zeigen die allgemeinen Infos, die man sich auch im Internet anschauen kann. Auf dem Handy starte ich das live-Tracking, die Uhr hat den aktuellen Standpunkt gefunden und die Strecke geladen. Ein letzter Schluck Wasser, dann kann es losgehen.
Es geht zunächst durch den alten Ortskern, wo ich nur auf den Verkehr achte und deshalb die Bronzestatue des „Ausschellers und Polizeidieners“ sowie die ehemalige Sommerresidenz der Mainzer Bischöfe verpasse. Bald schon geht es, wie erwartet, dann hinauf in die Weinberge. Und weil mir schon bei der zweiten Abzweigung ein Auto mit rumpelndem Anhänger entgegengeschossen kommt, achte ich weder auf Schilder noch auf meine Uhr und laufe direkt falsch. Zum Glück merke ich den Fehler umgehend und bin nach wenigen Extrametern wieder auf der Route, auf der als nächstes ein totes Kaninchen liegt. So richtig rund will das Abenteuer wohl nicht starten.
Angekommen auf dem Höhenweg
Dann aber bin ich oben am Erich-Koch-Höhenweg angekommen und kann es dann erstmal laufen lassen. Der Weg ist hier offensichtlich, dazu geht es erst leicht, dann auch steiler bergab, sodass ich den Schnitt anheben kann. Zu meiner Linken könnte ich theoretisch die Aussicht genießen. Da aber nur das Rheinhessische Hügelland zu meinen Füßen liegt und nicht wie auf dem Original die mächtigen Bergmassive des Pitztals, lasse ich mich nicht bremsen.
Viel mehr bremst mich dann der erste Gegenanstieg nach km 5, den ich so steil nicht erwartet hätte. Mein Weg biegt rechts ab und geht quasi vertikal den Weinberg hinauf. Die 30 Sekunden, die ich vor dem Zeitplan liege, verliere ich direkt wieder. Erst auf der Kuppe kann ich das Tempo wieder erhöhen, tendenziell geht es jetzt bis km 10 leicht bergauf. Rollen ist hier allerdings nicht angesagt, es geht über Wiesenwege. Der Boden ist uneben, das Gras hoch. Krähen ärgern sich, dass ich ihnen zu nahe komme und sie sich in die Lüfte erheben müssen, ansonsten ist noch niemand unterwegs. Obwohl es noch vor 9 Uhr ist, brennt die Sonne bereits. Es ist wärmer als erhofft.
Nach der nächsten Ecke treffe ich auf eine lustige Truppe, die wohl an der Schutzhütte übernachtet hat. Wir tauschen ein freundliches „Guten Morgen!“ aus, dann bin ich schon vorbei und wieder allein. Jetzt geht es über einen schönen Pfad entlang eines Lösshanges bis nach Gau-Boschofsheim, wo direkt eine große Straße überquert werden muss. Bei der zweiten habe ich Glück, dass dort gerade gebaut wird, so kann ich unbehelligt passieren und nach einer Treppe aufs nächste Feld rennen. Dort erwartet mich Kopfsteinpflaster, welches das Laufen wieder nicht einfach macht. Jetzt liege ich aber erneut vor der Zeit: auf 2h20 habe ich die Uhr programmiert, bei 2h22’33 steht der Rekord (eingerechnet habe ich Puffer für eventuelles Verlaufen).
Es wechseln Feld und Dorf
Nach diesem Feld wartet Ebersheim auf mich, das am Sonntagmorgen langsam erwacht. Es geht durch schmale Gassen und über Straßen. Das ist zwar eine schöne Abwechslung, kostet aber Zeit für die Wegfindung. Hinter Kleingärten muss man den richtigen Pfad erwischen. Für einen absoluten Rekord muss man die FKT-Strecken definitiv im Vorfeld auskundschaften. Auch so funktioniert es aber natürlich und ich lerne neue Ecken kennen.
Nach der leichten Steigung am Ortsausgang (das dortige Feldkreuz steht auf der höchsten Erhebung des Mainzer Stadtgebiets) treffe ich dann auf vorbildliche Hundehalter: die Vierbeiner hören nicht nur aufs Wort, sie werden zusätzlich auch am Halsband festgehalten. Da bedanke ich mich! Mit Blick auf den Donnersberg, zu dessen Füßen wir bereits eine Nacht in unserem Camper verbrachten, geht es in Richtung des einzigen steilen „Downhills“ der Strecke.
Dort ist Konzentration angesagt, liegen doch einige größere Steine auf dem Schotterweg. Das Verzehren meines Gels, das ich mir gerade einzuverleiben versuche, gerät dadurch ins Stocken. Aber bald schon bin ich unten. Der Kleine Mainzer Höhenweg führt jetzt mitten durch eine Baustelle nach Klein-Winternheim, dann beginnt, mit einer Unterführung, in der ich von einem Traktor verfolgt werde, die zweite, richtige Steigung.
Auch diese hat es wieder mächtig in sich, sodass ich mir gar einige Wanderschritte gönne. An der Straße von Ober-Olm nach Lerchenberg geht es dann aber wieder angenehm leicht bergab. An der Kreuzung geht es dann nicht rechts zum ZDF, sondern links in Richtung Wald. Hier bin ich versucht, eine Pause an einem herrlichen Kirschbaum einzulegen, laufe aber natürlich weiter.
Es wechseln Pein und Lust
Generell sieht man immer wieder Wegweiser des Kleinen Mainzer Höhenwegs, an die Pfeile muss man sich aber gewöhnen. Ist beispielsweise ein rechtwinkliger Pfeil abgebildet, kann es noch 300 m dauern, bis man wirklich abbiegen muss. Ich bin froh, dass ich den GPS-Track der Route auf der Uhr habe und treffe als nächstes am Lauftreff Ober-Olm ein. Hier ist schon einiges los, verschiedene Läuferinnen und Läufer streben von ihren Autos gen Wald. Mit gutem Grund, wie ich gleich feststellen werde.
Im Ober-Olmer Forsthaus soll Johann Wolfgang von Goethe 1793 während der Belagerung von Mainz einige Tage verbracht haben. Ich passiere nur und schaue, dass ich nicht umgefahren werde. Aus meiner Sicht folgt jetzt das schönste Stück des Kleinen Mainzer Höhenwegs. Auf einem Pfad neben dem großen Schotter-Waldweg, abgetrennt durch etwa 10 m Wiese bzw. Baumgruppen, geht es unter dem dichten Blätterdach dahin. Laufspaß pur.
„Es wechseln Pein und Lust. Genieße, wenn du kannst, und leide, wenn du musst.“
Johann Wolfgang von Goethe
Auch tut mir die Kühle des schattigen Waldes gut. Wirklich eine Passage zum Genießen, bevor es erneut in die Sonne geht: es warten die Finthener Obstfelder, die sich aufgrund des leichten Gefälles aber ebenso gut laufen lassen. Ist Finthen selbst dann schließlich passiert geht es erneut in den Schatten. Im Lennebergwald wechselt das Terrain. Die sandigen Pfade dort erinnern mich an die Trails oberhalb von Dormeletto am Rande des Lago Maggiore. Mal geht es hinauf, mal hinab, vorbei an sieben Weihern, die heute Biotope sind, wobei steile, ausgetretene Steintreppen bremsen.
Schloss Waldthausen und Lennebergturm leiten das Finale ein
Schließlich ist die nächste Sehenswürdigkeit entlang der Strecke erreicht: Schloss Waldthausen wird einmal umrundet, dann geht es durch den Park weiter zum Lennebergturm. Dort wartet Svenja auf mich, wie ich auf meiner Uhr während des Laufens lesen konnte. Ich frage sie im Vorbeilaufen, wie weit es noch ist und hätte gerne weniger gehört als die zugerufenen drei Kilometer. Wie auf dem Rheingauer Klostersteig geht mir zum Ende die Energie aus. Zum Glück geht es nur noch bergab.
Auch kündigt Svenja die nächste Treppe an, sodass ich nicht allzu abrupt bremsen muss. Erst ganz zum Schluss, nach der letzten Ecke des Mombacher Waldfriedhofs, geht es wieder auf eine Straße, vorher läuft man weiterhin auf Sandboden. Dort hätte man, wenn man denn noch könnte, einen Schlussspurt hinlegen können, ich beließ es beim zügigen Laufen. Und war dann froh, die Uhr bei der dortigen Infotafel abzudrücken und mich auf den Bürgersteig setzen zu können.
Cola trinke ich sonst nur beim Marathon. Die heutige war aber auch sehr verdient. Ich stoße an zu einer neuen FKT auf dem Kleinen Mainzer Höhenweg von 2h17’30. Cheers!
Der Überblick
Datum: So, 21. Juni 2020
Ort: Mainz-Laubenheim, Deutschland
Wettkampf: FKT Kleiner Mainzer Höhenweg
Distanz: 31,7 km, 450 hm
Zeit: 2:17:30 h
Crew: – (unsupported)
Schuhe: Hoka one one Rincon
Ernährung: Clif Bloks (2 Stk.), Clif Shot
Fotos: Svenja