Da waren wir also wieder. Noch recht früh am Sonntagmorgen brachte uns Corinna, Johannes‘ Frau, nach Kemel (vielen Dank an dieser Stelle!). Obwohl es den meisten wohl unbekannt ist, ist Kemel größer als man denkt, hier gibt es immerhin einen großen Supermarkt, sodass sich der Ort nicht einfach nur irgendwo im Wispertaunus versteckt. Und genau das ist auch das Stichwort: In Kemel startet nämlich der Wispertaunussteig, den wir an diesem Sonntag zum zweiten Mal in seiner kompletten Länge bis Lorch ablaufen wollten.
Am Ortsrand dieses kleinen Wispertaunus-Städtchens, neben dem Sportplatz, steht der Zwilling der Infotafel, die auch in Lorch am Ufer des Rheins einen Überblick über die verschiedenen Wandertouren des Wispertaunus gibt. Sowohl also über den Wispertaunussteig in seiner vollen Länge von 44 km mit etwa 1300 m An- und 1800 m Abstieg, sowie auch über 14 andere, kürze Touren wie beispielsweise den Ranseler Höhenflug oder das Wispertaler Krönchen. Alle Routen führen so malerisch über die Berge und durch die Täler des Wispertaunus und sind obendrein so gut ausgeschildert, dass sie das Premiumsiegel des Deutschen Wanderinstituts tragen. Mir gefällt es dort ausgesprochen gut, meine Empfehlung hatte ich schon nach unserer ersten Tour auf dem Wispertaunussteig ausgesprochen.
Unvollendete Aufgaben im Wispertaunus
Diese beiden Schilder markieren für uns nicht nur Start und Ziel des Steigs, sondern sind auch Start- und Ziellinie der FKT Strecke. Insbesondere der Wispertaunussteig fühlte sich für mich immer unvollständig an, einfach weil ich dort im letzten Sommer so sehr hatte leiden müssen. Mit laufen hatte das beim letzten Mal auf den Schlusskilometern nichts mehr zu tun. Völlig dehydriert war ich in Lorch angekommen. Das wollte ich besser hinbekommen.
Auch hatte sich die Konkurrenzsituation gänzlich gewandelt. Schöne Strecken laden eben ganz besonders zum Laufen ein. Während wir letztes Jahr für einen neuen Rekord im Grunde nur anzukommen brauchten, waren mittlerweile sowohl Nils Bergmann (unsupported 3h58‘42) als auch Thomas Sendker (self-supported 3h55‘02) unter vier Stunden gelaufen. 4h13 hatten wir beim ersten Versuch gebraucht.
Zehn Monate später waren wir jetzt also zurück. Zurück am Start. Wieder mit Vorfreude, diesmal aber mit mehr Respekt im Gepäck. Respekt sowohl vor der Streckenlänge mit all den Höhenmetern – ein Marathon will erst einmal gelaufen sein, und sei die Strecke auch noch so schön –, Respekt aber auch vor der unbarmherzigen Sonne auf den Streckenabschnitten, bei denen es nicht durch Wälder geht. Die völlige Dehydrierung war mir noch gut im Gedächtnis. Umso größer war aber gleichwohl der Wunsch, es diesmal besser zu machen: die Aufgabe „Wispertaunussteig“ fühlte sich noch unvollendet an.
Das hippe Comeback des Wispertaunus
Die Offenbach Post hatte im Rahmen der Serie „Endlich Frühling“ vor gut zwei Wochen „Das hippe Comeback des Wispertals“ getitelt und auch dort beschrieben, wie es der Region durch kreatives Marketing und den tollen Wanderrouten gelungen ist, wieder „in“ zu sein. Wir konnten dem nur zustimmen. Durch Johannes habe ich schon viele schöne Ecken des Rheingau-Taunus kennenlernen dürfen. Und ein bisschen fühlte es sich durch den Zeitungsartikel auch so an, als hätte uns der Wispertaunus gerufen. Diesem Ruf folgten wir doch gerne!
Jetzt sollte es aber auch losgehen! Nachdem der große Kaffee, der mich am Morgen vollends geweckt hatte, weggebracht war, wir ein Foto geschossen und die Uhren am Handgelenk sowohl die Route geladen als auch den aktuellen Standort sicher bestimmt hatten, machten wir uns ans Werk: 3, 2, 1 und ab ging die wilde Fahrt. Viel tun, außer sich zum richtigen Zeitpunkt in die Kurve zu legen, muss man auf den ersten Kilometern des Wispertaunussteigs nicht. Im lockeren Lauf kann man warm werden und dennoch schneller als 4‘/km laufen. Wir genossen den tollen Beginn über (Wiesen-)Pfade und über kleine Holzbrücken in vollen Zügen und stellten nicht nur fest, dass uns das Wetter mit idealen Bedingungen in die Karten spielte, sondern außerdem, dass es deutlich feuchter war als im letzten heißen Sommer: es ging immer mal wieder durch Schlamm, sehr schön war außerdem noch, dass die Wisper ordentlich Wasser führte. Neben den Böden, die sich scheinbar etwas von der Dürre erholt haben ein weiterer Vorteil des vielen Regens der letzten Wochen.
Schon hatten wir den Wispersee erreicht, wo wie immer die bloße Kartenansicht täuscht, die erwarten lässt, dass es bis auf eine Gegensteigung auf den ersten 11 km nur bergab geht: immer wieder gibt es auch kleine Steigungen – und sei es nur von der Wisper hinauf zum Wanderweg –, die bremsen und den Rhythmus unterbrechen.
Im idyllischen Wispertal
Insgesamt geht es zu Beginn aber tendenziell hinab. Nach dem Wispersee geht es am Fluss entlang durch das idyllische Wispertal. Mal auf breitem Forstweg, dann wieder steil hinab an die Wisper mit einer Flussüberquerung und dann wieder steil hinauf. Ganz besonders steil ist zu Beginn ein Trail zum Parkplatz vor dem Wispersee, auf dem wir von Rehen begrüßt wurden. Ich erzählte Johannes von den VO2max-Werten, die für Rehe und Antilopen vermutet werden. Mit einer solchen Leistungsfähigkeit wären wir fast schon am Ziel! Ansonsten begegneten wir zwar ab und zu Wanderern, hatten den Steig aber ansonsten wie für uns allein. Entlang des Bachlaufs konnten wir das Rauschen genießen und den vielfältigen Vogelstimmen lauschen. Sehr idyllisch, hier im Wispertaunus!
Einen ersten Anhaltspunkt über unser Tempo bekamen wir, als meine Uhr nach 10 km die Zwischenzeit anzeigte. Und wir waren doch glatt mit nur einer Sekunde Unterschied genau gleich unterwegs wie Thomas bei seinem Lauf – je nachdem natürlich, wie ähnlich unsere Uhren die gelaufene Distanz ermittelten. Die Segmente, die ich eingespeichert hatte, sprachen aber die gleiche Sprache. Mal waren wir zwei Sekunden schneller, mal eine Sekunde langsamer. Wir waren also gut unterwegs!
Bezüglich meines Befindens war ich mir allerdings nicht so sicher: mein Bauch schien sich noch nicht ganz sicher zu sein, wie er die erste Hälfte meines Riegels finden sollte; meine Beine waren sich noch uneins, ob sie nun müde waren oder nicht. Erst einmal weiter: Zu Beginn ist es gar nicht so schlecht, wenn man keine Bäume ausreißen will, wichtiger ist die zweite Hälfte. Und da sollte ich heute Glück haben.
Jetzt geht es so richtig los
Der Scherbensberg nach den ersten etwa elf Kilometern läutet dann das richtige Rennen ein: mit diesem beginnen die fünf Anstiege der Tour. Je nach Zählweise sind es auch mehr, ich hatte sie mir zumindest in fünf Berge unterteilt. So machten wir uns ans Erklimmen der ersten nennenswerten Höhenmeter, dort von träge grasenden Kühen beäugt, die sich in der Folge immer schneller aufzuaddieren schienen.
Fast oben angekommen war ein Wanderer beeindruckt, dass wir auch die steileren Passagen im Laufschritt nahmen. Abzuwarten blieb, ob er uns auch 30 km später ähnlich kommentiert hätte. Für den Moment genoss ich kurz darauf, oben zu sein, wo mir nichts anderes einfiel als „wow!“. Die Aussicht war grandios! Weite Wiesen, weite Blicke. Und wir mitten drin im wunderschönen Wispertaunus.
Immer mit dabei war die Erinnerung vom letzten Jahr: wie heiß es hier bereits gewesen war. Wo wir uns verlaufen hatten. Wann wir in den Wanderschritt gewechselt hatten.
Doch Erinnerungen sind trügerisch: die Bergabpassage nach dem Scherbensberg beispielsweise hätte ich – und da wäre ich mir sehr sicher gewesen – erst viel später eingeordnet. Ähnlich war es dann am nächsten Anstieg. Zuvor ging es jedoch wieder einmal steil hinab. Johannes übernahm die Führung und lief bergab vorweg, sodass wir nicht zu viel Zeit verlieren würden. Es ist immer ein Abwägen, um auf der einen Seite sicher zu sein, nicht zu stürzen, genauso wenig aber Zeit zu verlieren und auch die Oberschenkel zu schonen, die bremsen müssen.
Was sagt die Uhr?
Auch am folgenden Anstieg hinauf zur Streckenhälfte in Espenschied war ich mir sicher, dass wir ab und zu gegangen waren. Dieses Jahr zogen wir durch. Zwar gemäßigt, aber doch durchgängig im Laufschritt. Auf dem Segment „Herzclimb“ waren wir dennoch fast eine halbe Minute langsamer, was wiederum bedeutete, dass wir auf Thomas‘ Zeit eine Minute verloren hatten. Wir mussten wieder etwas mehr Druck machen! Verloren war natürlich nichts, noch war ich mir allerdings nicht sicher, ob die Zeichen schlecht standen oder wir intelligent Energie gespart hatten.
Espenschied war schnell durchlaufen, auch wenn wir um den Wanderparkplatz herumlaufen mussten und nicht die Ideallinie nehmen konnten. Geschenkt. Lustig war wie immer, wie manche Leute schauen, wenn sie merken, dass man auf Wanderwegen auch laufen kann. Die allermeisten, denen wir im Verlauf der Strecke begegneten, grüßten aber freundlich zurück.
Auf den Graswegen hinter Espenschied sparten wir uns diesmal das kurze Verlaufen, als wir im letzten Jahr den Abzweig verpasst hatten. Das hob die Stimmung. Wir waren gut unterwegs, das Wetter war herrlich, der Ausblick atemberaubend: das eigentliche Rennen konnte auf der zweiten Hälfte losgehen!
Noch drei Anstiege bis Lorch
Das Höhenprofil des Wispertaunussteigs sieht so schön markant aus: nach Espenschied geht es drei Mal hinunter und direkt im Anschluss einen Berg hinauf, dann kommt der finale Abstieg nach Lorch. Beim Laufen selbst sind das schöne Zwischenziele, wobei aber das Gelände dazwischen vernachlässigt wird. An den kleinen Pfad durch Buchenhecken konnte ich mich noch erinnern. Die nächste Kuppe war überlaufen.
Fast dachte ich deshalb schon, der erste der drei Anstiege nach Espenschied sei bereits gemeistert, weil es noch ein ganzes Stück bergab ging. Beim Überqueren des Werkerbachs, der auch deutlich stärker rauschte als im letzten Jahr, war aber klar, dass er noch nicht einmal begonnen hatte. Es folgte der mit Abstand steilste Aufstieg des Steigs. Fast senkrecht geht es dort hinauf, wo im 12. Jahrhundert Grenzposten des Rheingauer Gebücks belagert wurden und was in der Broschüre des Wispertaunus als „Filetstück der zweiten Etappe“ beschrieben wird. Immerhin wucherten die Sträucher rechts und links des Pfads noch nicht, sodass ich mir einmal mehr wie auf einem steilen Alpenpfad vorkam.
Eigentlich hätte Johannes hier über die Tonflaschen lachen sollen, hatten wir doch kurz vor der Bachüberquerung den historischen Werkerbrunnen passiert, wo laut der Wegbeschreibung im 18. Jahrhundert heilendes Quellwasser in ebendiesen Tonflaschen verkauft wurde. Doch es wurde stiller neben und hinter mir. Die Frage, ob er sich genug verpflegt habe, bejahte er aber und übernahm auch prompt die Führung, als es wieder hinab ging. Nur noch zwei Anstiege, nur noch gute 15 Kilometer.
Hochs und Tiefs
Bergab wiederum konnte ich dort nicht so schnell, wie ich gewollt hätte. Zum einen hatte ich doch glatt Seitenstechen, zum anderen folgte bald der Abschnitt, auf dem ich im letzten Jahr wirklich gar nicht mehr gekonnt hatte. Schnell waren wir aber unten und damit die Bedenken wie auch die Seitenstiche passé. Die Linkskurve nach etwa 28 gelaufenen Kilometern läutete den vorletzten Anstieg ein. Nur diesen mussten wir noch gut überstehen, um dann im Finale anzugreifen. An den querliegenden Baum erinnerten wir uns, den hatten wir auch im letzten Jahr übersteigen müssen.
Während des gut drei Kilometer langen Anstiegs fühlte ich mich wieder deutlich besser. Im Laufschritt passierten wir eine einsame, sehr gut gelaunte Wanderin, die sich zu freuen schien, jemandem zu begegnen. An Burg Blideneck vorbei wollte ich etwas schneller, musste dabei aber feststellen, dass Johannes die Lücke zwischen uns schnell größer werden ließ. So verpasste ich die Burg, weil ich mich etwas um Johannes‘ Befinden sorgte. Weiter oben dann meinte er aber, er sei gerade dabei, sich wieder besser zu fühlen. Wie das Höhenprofil schien auch unser Anstrengungsempfinden zu schwanken.
Immerhin hatten wir jetzt nur noch einen Anstieg vor uns. Über die Höhen von Ransel ging es durch hohes Gras, ich fühlte mich weiterhin gut und übernahm jetzt durchgängig die Führung. Vielleicht war es auch der Kontrast zu meiner Erinnerung, wie durstig ich das letzte Mal gewesen war. Jetzt hatte ich noch einige Schlucke in meinen Flaschen.
Nach Überqueren der Taunusstraße, die nach Ransel führt, geht es dann immer steiler hinab. Die Wiesen werden zu Wald, in dem wir aufpassen mussten, dass wir im ausgewaschenen Flussbett nicht umknickten. Immerhin fluchte Johannes über das Gefälle, das stille Tief schien überwunden. Auch meine Oberschenkel beschwerten sich über den steil abfallenden Waldweg, der uns zum Glück bald auf der Asphaltstraße, die durch Sauerthal verläuft, ausspuckte.
Der Blick auf die Sauerburg ließ die Ziellinie greifbar werden: jetzt war „crunch-time“, Zeit für den Schlussspurt! Johannes, sind wir bereit?
Der Mann mit der Sense
Am einprägsamsten an Sauerthal waren für mich wieder die vielen gruseligen Figuren in einem der Vorgärten am Wegesrand. Viele, teils mannsgroße, Figuren des Sensenmanns. Der Mann mit dem Hammer war aber nicht dabei! Der letzte Berg konnte kommen.
Alles war in unserer Taktik darauf ausgerichtet, bis zum letzten Anstieg gut durchzukommen, um dann noch einmal anzuziehen und mächtig Zeit gutzumachen. Bisher war nämlich noch niemand bis zum Ende flüssig durchgelaufen, meist hatte der vorletzte Anstieg den Stecker gezogen. Zwar starteten wir den ersten, sehr steilen Part des Gegenanstiegs nach dem Ortsausgangsschild von Sauerthal im Wanderschritt, nach der ersten Kurve wurde aber sofort wieder angelaufen. Schlussspurt war angesagt!
Scheinbar jedoch hatten wir zu viel Energie in die Beine geleitet und dabei das Denken vergessen. Gerade hatte die Stimme aus dem Handy das Segment für den bewussten Anstieg angesagt, da wich der Punkt, der uns auf der Karte darstellte, immer weiter von der Solllinie ab. Johannes war sich zwar zunächst noch sicher, dass wir auch beim letzten Mal auf genau diesem Weg unterwegs gewesen waren, ich hegte Zweifel, konnte aber nicht mitreden, weil ich im Jahr zuvor nichts mehr wahrgenommen hatte.
Als es dann aber immer weiter bergab statt bergauf ging, stand das Schlamassel fest. Mist, wir hatten uns wirklich verlaufen! Johannes wollte es nicht wahrhaben, insbesondere auch wegen der Zeit, die uns davonlief. Ich war mir mittlerweile aber sicher und wollte mir keineswegs noch die Burgruine Kleine Waldeck von der anderen Seite anschauen: wir mussten so schnell wie möglich wieder auf die Strecke. Kehrtwende und zurück! Dass einem der Rückweg nach dem Verlaufen aber auch immer doppelt so steil vorkommen muss!
Motivationsloch oder Schlussspurt?
Nun hätten wir einfach den Kopf in den Sand stecken können. Mehr noch, hätten wir dort bereits gewusst, dass uns allein das Stück, das wir hin- und zurückgelaufen sind, bereits vier volle Minuten gekostet hatte. Hinzu kam zu allem Überfluss das wirklich steile Stück, das uns zurück auf die Strecke brachte. Jetzt war jedoch nicht die Zeit, um zu hadern. Wir mussten einfach weiter, mehr denn je wollte ich diesen Rekord unbedingt. Corinna und Svenja waren am Sonntagmorgen früh für uns aufgestanden, die ganze Woche hatte ich mich auf den Lauf gefreut, 37 km hatten wir schon in den Beinen. Das sollte nicht alles umsonst gewesen sein!
Es gab nur eine Devise: hoch ins Naturschutzgebiet Nollig, und zwar so schnell es ging. Ich übernahm wieder die Führung und versuchte anzutreiben. Die Wege wurden flacher, bald wurde es wellig, sodass wir es bergab auch rollen lassen konnten. Die querliegenden Äste hätten wir sicher auch eleganter überspringen können, Hauptsache aber, wir kamen voran.
Unter einer Schranke mussten wir noch durch, dann lichtete sich der Wald. Die Hochebene war erreicht. 19 Minuten blieben uns noch, im verbleibenden Gelände, das der Wispertaunus für uns noch bereit hielt, waren Hochrechnungen jedoch müßig.
Zunächst aber offenbarte uns das Naturschutzgebiet Nollig sein Panorama: was für ein Ausblick. Hinab auf den Rhein, eingebettet von den Weinbergen und den Burgen, sonnenbeschienen, mit der Lorcher Werth in der Mitte des Flusses. Allein für diese Aussicht lohnt der komplette Wispertaunussteig. Zum Genießen hatten wir allerdings keine Zeit, es zählte jede Minute. Im Laufschritt sog ich die Aussicht auf, wartete erst im Abstieg auf Johannes, um ihn nochmal für die letzten zwei Kilometer anzufeuern.
Photofinish ist im Wispertaunus zweideutig
Nun hören sich zwei Kilometer nicht mehr allzu viel an, bergab sollten die im Normalfall sehr locker in zehn Minuten zu schaffen sein. Hier allerdings nicht: wir drückten nochmal mächtig auf die Tube, hatten zwischenzeitlich durch die Kletterpassagen am Sicherungsseil derweil aber nur einen Kilometerschnitt von 10‘30/km! Es war und blieb eng. Ob es reichen würde? Wenn wir uns wie im Vorjahr noch im Schlussspurt verlaufen würden, wäre der Rekord weg.
Nach den steilen Klettereinlagen folgt noch einmal eine kleine, fiese Gegensteigung, bevor Lorch durch gepflasterte Wege immer greifbarer wird. Noch ein Kilometer und keine fünf Minuten mehr bis zum Rekord. Jetzt waren wir nicht mehr am Laufen, jetzt wurde gerannt. Noch 500 Meter. Durch den Fehler beim letzten Mal blieben wir konzentriert und liefen richtig, auf der Brücke läutete Johannes dann mit einer echten Tempoverschärfung den finalen Schlussspurt ein, mit dem er mich abgehängt hätte, wäre nicht die Unterführung zum Parkplatz gekommen. Schon waren wir auf dem Parkplatz, schlängelten uns durch die parkenden Autos, dann waren die Uhren gestoppt. Was war das knapp: 3h54’12. Gerade so hatte es noch gereicht: wir hatten eine neue FKT um gerade einmal 50 Sekunden aufgestellt. Aber Rekord ist Rekord: darauf eine Siegerfaust!
Die Frage, die blieb, lautete: Wie hatten wir uns nur verlaufen können? Die Wege sind doch so gut ausgeschildert, dazu noch die Route auf der Uhr. Dennoch überwog die Freude aber deutlich, bei mir insbesondere, weil ich diesmal sehr gut durchgekommen war. Dieses Jahr hatte Johannes mehr leiden müssen, wobei wir natürlich noch lange nicht von einem Einbruch sprechen. Der Zielspurt sagte alles.
Axel hatte mir einmal erzählt, dass er sich nach einigen Rennen gerne direkt wieder an die Startlinie gestellt hätte, um das gleiche Rennen einen Hauch anders und dadurch etwas besser zu laufen. So ähnlich geht es mir mit dem Wispertaunussteig. Letztes Jahr hätte ich mich anders verpflegt, dieses Jahr hätte ich den Abzweig nicht übersehen sollen. Ich hätte Lust, direkt erneut in Kemel loszulaufen. Vielleicht wird es ja ein jährliches Ritual. Ein Erlebnis ist es jedes Mal.
Und dann, wenn es irgendwann nicht mehr schneller geht, kann man noch verrückter werden und einfach in die andere Richtung von Lorch nach Kemel laufen. Bis dahin wird aber noch viel Wasser die Wisper hinunter fließen.
Der Überblick
Datum: So, 30. Mai 2021
Ort: Kemel, Deutschland
Wettkampf: FKT Wispertaunussteig (Germany)
Distanz: 44 km, 1230 hm
Zeit: 3:54:12 h
Crew: – (unsupported)
Schuhe: Hoka one one Speedgoat 4
Ernährung: 1 Riegel, 1 Gel, 1 l Wasser mit Kohlenhydratpulver
Fotos: Johannes
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