Die Schrittfrequenz ist individuell, eine höhere Frequenz kann allerdings die Verletzungsgefahr beim Laufen reduzieren

Die richtige Schrittfrequenz liegt nicht bei 180 Schritten pro Minute

Es ist ein Thema, das immer wieder auftaucht und jede*n Läufer*in irgendwann einmal beschäftigt: wo liegt die richtige Schrittfrequenz beim Laufen? Immer wieder liest man dabei von der Empfehlung, 180 Schritte pro Minute (spm) zu machen. Doch diese ist nicht verallgemeinerbar. Ein Blick in Theorie und Praxis:

Die Grundlagen: Schrittfrequenz, -länge und Laufgeschwindigkeit

Im Grunde ist es ganz einfach: unsere Laufgeschwindigkeit ergibt sich aus der Schrittlänge multipliziert mit der Schrittfrequenz:

Laufgeschwindigkeit = Schrittlänge x Schrittfrequenz

Dabei haben diese drei Parameter auch immer Auswirkungen auf unseren Laufstil, ganz besonders auf den Fußaufsatz. Wenn nämlich die Laufgeschwindigkeit gleichbleibt und die Schrittfrequenz erhöht wird, reduziert sich entsprechend die Schrittlänge, wodurch sich der Fußaufsatz nach hinten verschiebt. In den meisten Fällen ist das gut, denn theoretisch ist es ideal, den Fuß beim Laufen direkt unter dem Körperschwerpunkt aufzusetzen. Das hat vor allem zwei Gründe, denn:

  • wer zu lange Schritte macht, muss das Körpergewicht bzw. den Körperschwerpunkt über das aufgesetzte Bein heben und verschenkt dadurch Kraft.
  • nur wer zu kurze Schritte macht, verschenkt zurückgelegte Distanz und läuft dadurch langsamer.

Anders ausgedrückt ist für das „normale“ Laufen ein Mittelfußaufsatz ideal, weil dieser automatisch mit der richtigen Schrittlänge einhergeht. Der Fuß wird genau unter dem Körperschwerpunkt aufgesetzt und drückt dann nach der Stützphase von hinten ab.

Bei zu großen Schritten wird tendenziell eher mit der Ferse aufgesetzt, was „die Belastung von Hüfte, Knie und Knöchel erhöht“ (Johnson, 2016). Ein Fußaufsatz vor dem Körperschwerpunkt bremst also nicht nur, sondern ist oft auch Auslöser für Verletzungen.

Allgemeine Zusammenhänge bei der Schrittfrequenz

Die Schrittfrequenz betreffend scheint es gewisse allgemeingültige Zusammenhänge zu geben. Tendenziell korrelieren die Körpergröße als auch die Laufgeschwindigkeit mit der Schrittfrequenz:

  • Größere Menschen machen größere Schritte, entsprechend laufen kleine Menschen meist mit einer höheren Schrittfrequenz.
  • Je höher die Geschwindigkeit, desto höher meist die Schrittfrequenz, was sich leicht anhand der Berechnungsformel für die Laufgeschwindigkeit herleiten lässt, wenn die Schrittlänge in etwa gleichbleibt.

Der Zusammenhang von höherer Laufgeschwindigkeit und höherer Schrittfrequenz hatte sich übrigens bereits in meinem vorherigen Artikel über Schrittfrequenz beschrieben, bei dem es vor allem um die Variabilität der Schrittfrequenz ging. Dort ging es um die Analyse der Schrittlängen und -frequenzen bei der WM 2007 über 10.000 m von Bekele, Sihine und Mathathi.

Diese theoretischen Überlegungen führen schon dazu, dass eine generelle Empfehlung für eine Schrittfrequenz zu hinterfragen ist. Je nach Leistungsvermögen, Laufstil und Kraft ergeben sich ganz unterschiedliche Laufgeschwindigkeiten und entsprechend auch andere Schrittlängen und Schrittfrequenzen. Lasst uns nachforschen, woher die Empfehlung für 180 spm kommt.

Woher kommt die Empfehlung für eine Schrittfrequenz von 180 spm?

Die allgemein empfohlenen 180 spm gehen laut Hutchinson (2018) der Legende nach auf die Beobachtungen von Trainer-Urgestein Jack Daniels bei den Olympischen Spielen 1984 zurück. Während dieser die damals weltbesten Läuferinnen und Läufer bei ihren Rennen auf der Rundbahn beobachtete, kam er zu dem Ergebnis, dass eine hohe Schrittfrequenz zu empfehlen sei.

Dieser Wert von umgerechnet drei Schritten pro Sekunde wurde nun mit einer Studie von Burns, Zendler & Zernicke (2019) belegt, die 20 Läufer*innen bei den 100 km Weltmeisterschaften im Jahr 2016 untersuchten. Dort kamen sie auf eine durchschnittliche Schrittfrequenz von 182,0 spm. Das bemerkenswerte daran: die Müdigkeit schien keine Rolle zu spielen.

Der Teufel steckt allerdings auch bei dieser Studie wieder einmal im Detail. Wie immer gehen bei der Berechnung von Durchschnittswerten wichtige Daten verloren. Schaut man genauer auf die Studie von Burns et al. (2019), sieht man die Individualität der Elite-Athleten: mancher läuft mit 155 spm und hat nie eine höhere Schrittfrequenz als 160, ein anderer läuft durchschnittlich mit 203 spm.

Unabhängig von ihrer Schrittfrequenz liefen übrigens alle Läufer*innen der Studie unter die Top25 der Weltmeisterschaften: es gibt also keine ideale Frequenz, auch wenn natürlich viele Läufer*innen im Bereich zwischen 170-180 spm liegen. Entsprechend gibt es auch keine Frequenz, die man als allgemeine Empfehlung heranziehen kann!

Kürzere Schritte für weniger Verletzungen?

Obwohl eine generelle Empfehlung von 180 spm schlicht und einfach zu allgemein gehalten ist, bleibt dennoch die interessante Schlussfolgerung, dass eine geringere Schrittlänge meistens die Belastung der Gelenke reduziert. Kürzere Schritte führen insgesamt zu weniger Verletzungen. Auch ist es für Athleten leichter umzusetzen, die Frequenz zu erhöhen, als bewusst unter dem Körperschwerpunkt aufzusetzen.

Sollten wir also alle daran arbeiten, mehr Schritte pro Zeit zu machen? Zumindest sollte der Laufstil nicht abrupt geändert werden, weil Laufstiländerungen immer auch für eine andere Art der Belastung im gesamten Bewegungsapparat sorgen und in der Folge ebenso zu Verletzungen führen können. Theoretisch kann eine Überlastung der entsprechenden Strukturen resultieren, die zuvor nur unterstützt haben und nicht maßgeblich an der Laufbewegung beteiligt waren. Ein guter Ansatz für all diejenigen, die unter keinen akuten Beschwerden leiden, ist sicher, immer mal wieder die Frequenz aktiv zu erhöhen und zu schauen, ob sich so angenehmer laufen lässt.

Insgesamt scheinen sich die Expert*innen des Laufsports einig zu sein, dass sich über viele Kilometer das individuelle Optimum bei der Schrittfrequenz einstellt: je mehr man läuft, desto ökonomischer wird der Laufstil. (Oder kurz gesagt: laufen hilft!)

Von der Theorie in die Praxis

Dadurch, dass ich schon lange laufe und sehr viele Kilometer zurückgelegt habe, denke ich, dass ich schon nahe an meiner individuell passenden Frequenz bin. Diese liegt aktuell mit ca. 160 spm allerdings deutlich unter dem Richtwert von 180 spm. Zumindest bestätigt sich die allgemeine Korrelation, dass höhere Geschwindigkeiten auch zu einer höheren Schrittfrequenz führen:

DatumkmSchnitt (min/km)spm
13.04.202116,94’37160
16.04.202114,04’44159
21.04.202115,54’42158
23.04.202116,14’13162
25.04.202130,13’59164
02.05.202114,84’53160
04.05.202111,64’54159
05.05.20216,23’38167
09.05.202125,03’56163
10.05.202113,84’49160
13.05.202117,54’41162
17.05.202114,94’47160
21.05.202114,44’34161
Aktuelle Messwerte

Ein Grund für die vergleichsweise eher langsame Frequenz könnte sein, dass ich im Training (sowohl beim Laufen durch bspw. Ausfallschritte und Tempoläufe als auch durch die IGMM) großen Wert auf eine gute Kraftausdauer lege, weil diese wiederum laut Renato Canova mit der aeroben Schwelle korreliert. Mehr Kraft führt entsprechend zu längeren Schritten und deshalb zu weniger Frequenz, die nur für schnelles Laufen erhöht wird.

Burns, der über Schrittfrequenzen promoviert, hat diesbezüglich noch weitere Überlegungen angestellt, die er im Interview mit Hutchinson (2018) beschreibt: Wenn man fit ist, sei die Schrittlänge tendenziell bei gleichem Tempo länger, was die Vermutung nahelegt, dass die Kraft größer ist und mehr Reserven für eine Erhöhung der Frequenz gelassen werden.

Diese Vermutung lässt sich empirisch leicht überprüfen. Für den Vergleich habe ich mir meine Frequenzen in einem sehr fitten Zustand (aus dem Herbst 2019) und in einem eher unfitten Zustand (nach der Saisonpause im letzten Jahr) angeschaut:

DatumkmSchnitt (min/km)spm
28.09.202011,64’28160
30.09.202010,44’55158
03.10.202015,44’53162
04.10.202017,54’47164
05.10.202020,04’04162
09.10.202012,64’48161
10.10.202013,24’54163
12.10.20209,25’03162
13.10.202019,84’39162
14.10.202025,04’03163
Messwerte vom Wiedereinstieg nach der Saisonpause 2020
DatumkmSchnitt (min/km)spm
02.09.201916,64‘37162
03.09.20197,04‘23164
04.09.201915,54‘27162
08.09.201911,44‘36163
09.09.201911,84‘29164
10.09.201917,43‘30172
12.09.201912,04‘19163
15.09.201921,03‘32173
16.09.201915,04‘32164
18.09.201921,54‘09163
20.09.201916,84‘20164
23.09.201913,04‘48165
24.09.201920,14‘35165
26.09.201919,04‘36166
28.09.201936,04‘04166
30.09.201920,04‘34165
02.10.201920,53‘35169
04.10.201932,34‘11166
06.10.20198,54‘49165
07.10.201915,54‘15165
08.10.201915,43‘28170
10.10.201920,04‘09163
12.10.20198,04‘34164
13.10.201910,03‘17174
14.10.20199,84‘30163
17.10.201910,03‘33169
24.10.20198,04‘20162
25.10.20197,74‘37162
26.10.20196,24‘24162
Messwerte aus der Marathonvorbereitung für Frankfurt 2019

Natürlich hat die Betrachtung einer Einzelperson keinerlei wissenschaftlichen Wert, zumindest für mich scheinen sich diese Überlegungen allerdings nicht zu bestätigen. Es bleibt dabei: die Schrittfrequenz ist eine sehr individuelle Sache.

Zusammenfassung

  • Der Fußaufsatz sollte idealerweise unter dem Körperschwerpunkt sein.
  • Eine allgemein gültige „richtige“ Schrittfrequenz gibt es nicht.
  • Eine höhere Frequenz kann die Verletzungsgefahr beim Laufen reduzieren.
  • Im Zweifel die Schritte verkürzen.

Quellen

Burns, G. T., Zendler, J. M., & Zernicke, R. F. (01. Februar 2019). Step frequency patterns of elite ultramarathon runners during a 100-km road race. J Appl Physiol, S. 462-468. doi:10.1152/japplphysiol.00374.2018

Hutchinson, A. (26. Dezember 2018). It’s Time to Rethink the Ideal Running Cadence. (O. online, Herausgeber) Abgerufen am 22. Mai 2021 von Sweat Science: https://www.outsideonline.com/2377976/stop-overthinking-your-running-cadence

Johnson, E. E. (30. Juni 2016). Use proper running pace to prevent serious injury. Abgerufen am 22. Mai 2021 von U. S. Army: https://www.army.mil/article/170732/use_proper_running_pace_to_prevent_serious_injury