Dann schließlich lichtete sich das Blätterdach und der Schotterweg mündete in eine kleine Straße. Endlich Asphalt! Das ist meine Lieblingsstelle beim Hugenottenlauf: in leichten Wellen geht es – wenn auch viel zu kurz – neben den Bahnschienen entlang und die Schuhe haben nach den vielen Kilometern durch den Wald endlich wieder festen Grip. Gleich geht es deutlich schneller! Nach dem 15-km-Schild geht es dann aber wieder links ab zurück in den Wald.
Ein Halbmarathon als Formindikator
In den letzten Wochen stellte ich mir immer wieder die Frage, wie viel die Grundmüdigkeit durch die höheren Umfänge des Marathontrainings an Spritzigkeit bzw. Tempo kostete. Hätte ich beim Tempodauer- bzw. -wechsellauf schneller sein können? Und wie viel? Hätte ich härter „kicken“ (Schlussspurt) können? Wer meine wöchentlichen Trainingsberichte für den diesjährigen Frankfurt Marathon verfolgt, kennt die Gedanken. Immer wieder bin ich zu dem Schluss gekommen, dass der jetzige Ansatz der richtige ist. Hinweise gab es schon einige, einen weiteren würde der geplante Halbmarathon beim diesjährigen Hugenottenlauf geben.
Denn im Gegensatz zu den letzten Trainings würde ich recht ausgeruht an den Start gehen. Nach Dienstag, der ebenso hart wie großartig war, kam nicht mehr viel. Zwei kurze Dauerläufe, ein bisschen Stabi und das tägliche Radeln zur Arbeit. Theoretisch zumindest bestanden nach den zuletzt sehr guten Einheiten Hoffnungen auf einen schnellen Halbmarathon. Gleichzeitig aber gab es Zweifel an der möglichen Tagesform, wenn der Körper durch die ungewohnte Ruhe in eine Starre fällt wie in Hausen, aus der er erst wieder aufgeweckt werden muss.
Nichtsdestotrotz war die Vorfreude groß. Mit dem Hugenottenlauf bzw. dem TV Neu-Isenburg verbinden mich Erinnerungen (2016 habe ich sie genauer beschrieben), die es immer zu etwas Besonderem machen, dort zu laufen, auch wenn ich früher eigentlich nie im Wald lief, sondern fast ausschließlich auf der Bahn. Einen Vorgeschmack auf einen hoffentlich tollen Wettkampf gab es am Donnerstag, als der Dauerlauf nicht besser hätte sein können.
Hugenottenlauf 2019: Das Rennen
Einfach würde es allerdings nicht werden. Klar, ein Halbmarathon wird nie leicht, mit Robert hatte ich aber einen Teamkameraden am Start, der mich ordentlich fordern würde. Zuletzt war er im dienstäglichen Spiridon-Training immer stärker als ich, meist auch stärker als Max. Man kann es nicht anders sagen: Er ist in der Form seines Lebens.
Weil ich aber ein ausgesprochener Wettkampftyp bin, der im Wettkampf immer schneller kann als im Training und Robert dienstags vermeintlich ausgeruhter war als ich, machte ich mir dennoch Hoffnungen, Chancen zu haben. Zumindest zusammen loslaufen würden wir.
Dadurch, dass es beim Hugenottenlauf jedes Jahr nur noch sechs Wochen bis zum Marathon sind, ist der Halbmarathon nicht nur ein Formtest, sondern außerdem ein Verpflegungstest. Sagen wir so: da es nicht darum geht, einen Marathon ohne Verpflegung möglichst schnell zu laufen, sondern diese ausdrücklich erlaubt ist, hilft jedes Gramm Kohlenhydrate in Form von Energie, desto länger das Rennen ist. Kurz gesagt: je mehr, desto besser. Auch das wollte ich heute testen.
Entsprechend wurde nicht nur gefrühstückt, zusätzlich gab es beim Aufwärmen noch einen Müsliriegel. An den Start stellte ich mich dann mit drei Gels. Früher hätte ich auch nur den Kopf geschüttelt, weshalb ich über die Frage, ob ich vergessen hätte zu frühstücken, ehrlich lachen konnte.
Erst Asphalt in der Stadt, dann Schotter im Wald
Seit dem vermurksten Lauf in Hausen bin ich keinen Wettkampf mehr gelaufen. Mühlheim hatten wir ausgelassen, weil der Termin nicht zum Trainingsplan passte. Endlich hörte ich also wieder einen Startschuss und konnte mit anderen um die Wette laufen. Ein tolles Gefühl, insbesondere, wenn das Tempo passt und sich die Beine dabei locker anfühlen.
Genau das war der Fall. Von Beginn an fühlte ich mich recht gut – und vor allem locker. Nach dem ersten Kilometer in 3’23 reihte ich mich hinter Robert ein, insgesamt liefen wir zu viert dem Führungsradfahrer hinterher. Robert nahm dann etwas heraus, sodass wir die nächsten beiden Kilometer in 3’37 liefen. Bei km 2 (7’00) passte noch alles, im Wald bei Kilometer drei musste aber etwas getan werden, schließlich wollte ich bei einem Gesamtschnitt von etwa 3‘30/km landen.
Ich drückte also etwas aufs Gas, Robert zog natürlich mit. Unsere beiden Begleiter aber ließen uns bereits ziehen. Bald kam dann die erste Verpflegungsstationen mit Helfern auf beiden Seiten. Weil Robert aber „du rechts und ich links?“ zeitgleich fragte, als wir an den Schildern, die die 10-km-Läufer geradeaus und uns Halbmarathonis nach rechts wiesen, vorbeiliefen, musste ich lachen. 10 km reichten also auch? Die Stimmung war gut und natürlich liefen wir gemeinsam nach rechts. Die ersten 5 km (17’40) waren gelaufen.
Teamarbeit bis zur Streckenhälfte
Weiterhin arbeiteten wir gut zusammen. Wie im Training. Sobald der eine etwas nachließ, lief der andere nach vorne. Und genau wie im Training war die gefühlte Anstrengung in der Führung deutlich größer als wenn ich nur hinter Robert herlaufen musste.
Läuft man aber so direkt hinter dem anderen können Bodenunebenheiten zum Problem werden. Auf Asphalt oder insbesondere auf der Bahn ist das kein Problem, der Isenburger Wald ist aber nur selten von breiten Schotterwegen durchzogen, meist geht es über grobe Steine, teils sogar über Gras. Robert knickte mindestens einmal um. Dadurch ist die Strecke deutlich anspruchsvoller als wenn es über Asphalt ginge.
Daher auch die Einleitung.
Nach einer weiteren Rechtskurve waren dann 10 km absolviert. 35’15 meldete die Uhr, wir waren also einen Hauch schneller geworden. Für den 3‘30er Schnitt würden wir aber deutlich mehr Druck machen müssen. Bei gleicher Anstrengung wird man bekanntlich immer langsamer. Also ging ich ein weiteres Mal nach vorne und hörte Robert zum allerersten Mal überhaupt etwas heftiger atmen. Tatsächlich entstand kurzfristig sogar eine kleine Lücke, die er bald aber wieder schließen konnte. Ich hoffte, dass er mich nochmal in der Führungsarbeit ablösen würde.
Kurz darauf aber, bei der Getränkestation von km 12, ging erneut eine Lücke auf. Es wurde höchste Zeit für mein zweites Gel. Als Robert dann immer noch nicht heran war, war klar, dass ab jetzt jeder für sich kämpfte.
Allein gegen die Uhr
An ziemlich genau dieser Stelle hatte ich mich vor zwei Jahren von Karl gelöst, als ich meine bisherige Streckenbestzeit in Neu-Isenburg (1h15’23) gelaufen war (weil mich im Ziel verschiedene Leute gefragt hatten: meine Bestzeit liegt bei 1h11’18 aus Berlin). Jetzt ging es darum, möglichst weit darunter zu bleiben. Die 1h13er Zeit hatte ich noch im Blick.
Am in der Einführung beschriebenen Streckenabschnitt zeigte die Uhr bei km 15 dann einen 5-km-Split von 17’29. Dann ging es über einen Wurzelweg zurück in den Wald, wo ich mir nicht nur ziemlich langsam vorkam, sondern fast auch noch eine Hundebegengung gehabt hätte. Ein Glück, wenn man einen Führungsradfahrer hat! Ebenso wertvoll war er in der Folge, als er mich auf den letzten gut vier Kilometern durch das 10-km-Feld lotste. Das klappte hervorragend: fast alle liefen auf die rechte Seite, viele feuerten mich außerdem noch an.
Dass ich es dann fast geschafft hatte wusste ich an der Kreuzung, an der Ruben jedes Jahr steht. Ihn zu sehen freue ich mich immer. Kurz darauf stand dann sogar Max im Wald, der mit dem Rad gekommen war, um das Duell zwischen Robert und mir live mitzuerleben. Und dann ging es endlich aus dem Wald heraus. Bis km 20 war ich 5 km in 17’31 gelaufen. Würde ich es noch unter 1h14 schaffen? Auf jeden Fall würde ich nochmal beschleunigen müssen, was alles andere als leicht fiel.
3’23 zeigte die Uhr für den 21. Kilometer. Dennoch reichte es nicht ganz: 1h14’05 wurden offiziell für mich gestoppt. Ich freute mich trotzdem! Eine für die Schotterwege gute Zeit, dazu mein erster Sieg in Neu-Isenburg überhaupt. Die aufsteigende Form bestätigt!
Und weiter geht’s!
Auch Robert blieb noch unter 1h15, ihm konnte ich ebenso zu einer neuen persönlichen Bestzeit gratulieren wie Sebastian, der eine weitere halbe Minute später ins Ziel lief. Klar: wie auch im letzten Jahr, als Kipchoge Marathon-Weltrekord lief, war auch heuer wieder Weltrekord-Wetter, wie Kamworor beim Halbmarathon in Kopenhagen zeigte.
Alle sind wir auf einem guten Weg in Richtung Herbstmarathon. Sobald wir uns vom Halbmarathon erholt haben heißt es, im letzten Trainingsblock die gute Form noch aufzubauen. Dann wird es ein richtig guter Marathon!
Der Überblick
Datum: So, 15. September 2019
Ort: Neu-Isenburg, Deutschland
Wettkampf: Hugenottenlauf
Distanz: 21,1 km
Zeit: 1:14:05 h
Platz: 1.
Crew: Svenja
Schuhe: adidas adizero adios Boost 3
Ernährung: 2 Koffein-Gel, ein Riegel vor dem Rennen
Fotos: Svenja und Sabine
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