Kennt ihr den Film „Der Exorzist“? Ein besessenes Mädchen kotzt in dem Film im hohen Bogen durch ihr Zimmer. Wie in dieser Szene fühlte ich mich zwischen km 38 und 39 des diesjährigen Frankfurt Marathon. Ganz plötzlich wollte mein Magen zu diesem Zeitpunkt die Energie loswerden, die mich eigentlich vorwärtstreiben sollte statt an den Streckenrand zu zwingen. Sofort waren zwei Helfer und ein Sanitäter bei mir, die ich aber glücklicherweise nicht brauchte. Wie das oft so ist ging es mir nach den zwei Schwallen, die ich verabschiedete, besser. Dennoch war das Ganze als „Krönung“ des Tages sehr merkwürdig, normalerweise muss ich mich nie übergeben.
Ein gebrauchter Tag
Eigentlich dachte ich, gut vorbereitet zu sein. Viele Wochen lang hatte ich auf hohem Niveau trainiert und die guten Wettkampfergebnisse – zuletzt vor zwei Wochen beim Mainuferlauf – zeigten, dass die Form passte. Jetzt oder nie hieß es, als ich mich mit meinem Spiridon-Trainingspartner Max dazu entschied, in Richtung unserer Traumzeit anzugehen. Es wird wohl beim „nie“ bleiben.
Weil bisher das größte Problem bei meinen Marathons die Energie war, versuchte ich bereits vor dem Start so viel aufzunehmen wie möglich. Im Rennen selbst wollte ich dann von Beginn an alle 5 km ein Gel nehmen. Aber es lief nicht, eigentlich von Beginn an. Erst sah ich es noch positiv, dass ich einen schweren Bauch hatte, Arne hatte einmal nach seinem deutschen Rekord gesagt, man müsse mit vollem Tank starten und werde dann immer leichter. So lief ich zunächst möglichst locker hinter Max und Philipp, der uns auf den ersten Kilometern als Hase unterstützen wollte (Danke!), und blieb bei meinem Plan. Doch die Energie kam nicht an und so richtig wollte sich kein Rhythmus einstellen. Auch lief ich Philipp erstaunlich oft in die Hacken, was mir sonst eigentlich nie passiert.
Wenig hatte ich so von Beginn an für die Zuschauer an der Seite übrig, obwohl das doch der einzige Vorteil am verwinkelten Kurs durch die Frankfurter Innenstadt ist. Eigentlich heißt es hier, Energie aufzusaugen und so möglichst frisch das erste Renndrittel zu überstehen. Zwischen Kilometer 11 und 12 dachte ich auch kurz, dass ich jetzt endlich eingelaufen sei. Kurz fühlte ich mich gut. Dazu lagen wir perfekt in der Zeit und den vermaledeiten Abschnitt an der Konstablerwache vorbei hatte ich ohne Sturz überstanden. Aber das Hochgefühl währte nur kurz und die Lockerheit war bald wieder passé. Es galt, eine Entscheidung zu treffen.
Aussteigen ist keine Option!
Um herauszunehmen war es definitiv zu spät! Ich versuchte einfach, dranzubleiben, und hoffte weiter darauf, dass sich bauchtechnisch endlich alles fügen würde. Dranbleiben ging ja auch noch, das nächste Gel, dass für km 15 geplant war, ließ ich aber erstmal weg. Philipp hatte sich kurz vorher verabschiedet, sodass Max jetzt alleine Tempo machte. Gerne hätte ich ihn unterstützt, daran war aber im Moment nicht zu denken. Als Martin, der mit dem Rad zum Anfeuern an die Strecke gekommen war, wissen wollte, wie es lief, war meine Antwort: „eher nicht so!“. Aber ich hoffte noch!
Bei Kilometer 18 entstand dann dadurch eine Lücke zu Max, dass mein Vordermann sprungartig beschleunigte und uns davon lief. Im Endeffekt war das der Anfang vom Ende. Ich versuchte zwar, möglichst locker zu bleiben und möglichst wenig langsamer zu werden, verlor aber schnell viele Meter auf Max. Und das deutlich früher als ich im Vorfeld je gedacht hätte. Nicht einmal bis zur Schwanheimer Brücke hatte ich es mit einem guten Gefühl geschafft. Schon jetzt war mir klar, dass es ein sehr langer Tag werden würde.
Wieder ein langer Tag in Frankfurt
Mittlerweile kam nicht nur keine Energie an, Durst hatte ich auch. Zum Glück wartete Johannes bei km 20 mit einer Flasche. Das Gel, dass ich daran geklebt hatte, bekam ich jetzt aber ebensowenig herunter wie das 5 km zuvor.
Natürlich dachte ich auch ans Aufgeben. Bisher war ich aber noch bei jedem Marathon ins Ziel gekommen und frierend in der S-Bahn wollte ich nun wirklich nicht sitzen. Außerdem würde ich so nie an meine persönliche Fanmeile bei km 31 kommen. Also einfach weiter. Mehr schlecht als recht ging es dann also über die Brücke und durch Höchst, schließlich auf die Mainzer Landstraße. Viele bekannte Gesichter zogen an mir vorbei und versuchten teilweise, mich mitzuziehen. Innerlich hatte ich aber bereits aufgegeben, an ein erneutes Beschleunigen war nicht mehr zu denken. Schade um die Schuhe, dafür hatte ich sie nicht gekauft.
Bei km 30 griff ich bereits zum ersten Mal zur Cola und auch nochmal zu einem Gel, was aber so widerlich schmeckte, dass ich nicht einmal ein kleines Bisschen herunterbekam. Aber mittlerweile freute ich mich über die Zuschauer am Streckenrand, klatschte sogar ab. In gewisser Weise war es sowohl ein Perspektivwechsel als auch ein Abschied.
Ciao, Marathon!
Fakt ist nämlich: ich habe keine Lust mehr auf Marathon. Wie die Überschrift schon sagt werden wir keine Freunde mehr. Zu oft schon musste ich wieder aufstehen. Klar macht es den Reiz der Distanz aus, dass man immer nur diese eine Chance auf ein gutes Rennen hat. Aber all die Wochen der Vorbereitung bin ich in naher Zukunft nicht bereit, erneut aufzubringen. Schon dieses Mal habe ich alles in die perfekte Vorbereitung gelegt, weil ich Svenja und auch mir selbst versprochen hatte, dass es danach eine Marathonpause geben würde. Aktuell bin ich mir nicht sicher, ob es eine Pause wird oder ob es vielleicht sogar ein Abschied war. Der Auswurf im Finale war nicht nur eine innerliche Reinigung sondern auch ein Statement.
Zurück in die Innenstadt
Natürlich fordert jeder Marathon seine Opfer. Auf dem Weg zurück zum Ziel konnte ich mich kurz mit anderen, die ebenso keinen guten Tag erwischt hatten, austauschen. Mit Björn zum Beispiel, oder mit Fabian, Stephan und Markus. Von Martin bekam ich dann an der vorletzten Verpflegungsstation meine Flasche Cola gereicht. Ein letztes Mal Energie, dachte ich, denn aus einer Flasche kann man so viel besser trinken als aus den Bechern der Verpflegungsstationen. Kurz danach kam aber km 38, als sich die gesammelte flüssig-Energie-Mixtur wieder verabschiedete. Und dennoch ging es mir im Anschluss etwas besser. Ich fühlte mich zwar auch nicht stark oder energiereich und hatte keinen guten Geschmack im Mund, aber immerhin doch erleichtert. Einmal mehr würde ich es ins Ziel schaffen.
Woher das aber kam frage ich mich immer noch. Die Erkältung vom letzten Wochenende dachte ich eigentlich schon vor ein paar Tagen ausgestanden zu haben. Und anders gegessen als sonst hatten wir auch nicht. Irgendetwas muss aber gehörig schiefgelaufen sein.
Dennoch: einen erneuten Marathon-Versuch wird es so schnell nicht geben. Ich will mich nicht immer nur durchkämpfen, ich will mich auch für mein Training im Wettkampf belohnen. Nach sieben Marathonjahren reicht es. Nach einer längeren Saisonpause will ich im nächsten Jahr vor allem schnell laufen. Eine neue 10er Bestzeit schwebt mir vor, vielleicht mal wieder eine Crosssaison oder auch ein ernsthafterer Ausflug in den Orientierungslauf. Auch Sommerbiathlon könnte ich mir beispielsweise vorstellen. Genaue Pläne gibt es noch nicht, aber ein Marathon wird nicht darin vorkommen.
Der Überblick
Datum: So, 27. Oktober 2019
Ort: Frankfurt, Deutschland
Wettkampf: Frankfurt Marathon
Distanz: 42,195 km
Zeit: 2:49:31 h
Platz: 424.
Crew: die komplette Familie und Spiridon
Schuhe: Nike Vaporfly Next%
Ernährung: Riegel und Gel
Fotos: Thomas, Martin und Svenja
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