Mit der Rückkehr der Wettkämpfe im vergangenen Herbst trieb mich der Gedanke um, wie es wäre, mal wieder einen Marathon zu versuchen. Der Groll nach dem letzten gescheiterten Versuch im Herbst 2019 war verflogen und ich ertappte mich immer häufiger dabei, dass ich richtig „Bock“ auf lange, schnelle Einheiten hatte. Als die Entscheidung dann gefallen war, entschied ich mich für den Hannover Marathon, bei dem auch die Deutschen Meisterschaften integriert sein würden.
Ein gutes Team
Für den Beginn war es mir aber gar nicht so wichtig, wo ich laufen würde, sondern dass ich laufen würde. Ich freute mich sehr auf das Training und hatte ein tolles Team an meiner Seite: Svenja, Axel für die Trainingsplanung, meine Eltern als Radbegleitung sowie Johannes als Lauf- und Radbegleitung. Auch die freie Zeiteinteilung im Home Office machte den Weg zum Hannover Marathon um einiges leichter.
Durch die hohe Motivation lief es auch von Anfang an ziemlich gut. Im Dezember fand ich gut in das höhere Pensum, im Januar wurde das Tempo schneller und im Februar liefen die langen Einheiten dann richtig gut. So gut, dass ich mir zu diesem Zeitpunkt sogar vorstellen konnte, dass mein Traum eines Marathons von unter 2:30 Stunden vielleicht doch noch wahr werden könnte. Im März scheiterte dann allerdings leider die Umsetzung, sowohl das Rennen über 10 km als auch der Halbmarathon liefen nicht wie gewünscht. Doch die Form war definitiv gut, ich würde eben „nur“ etwas defensiver angehen. Das große Ziel war, die Königsdisziplin zu meistern, also einen Marathon bis zum Ende durchzuziehen. Im Idealfall mit einem negativen Split, also einer schnelleren zweiten Hälfte.
Auf nach Hannover
Schließlich war das Training geschafft, also all die Hausaufgaben gemacht. Und besser noch: ich hatte das Glück, gesund geblieben zu sein. Es konnte losgehen. Das gute an Hannover war, dass wir uns dort schon auskannten, weil Svenja dort bereits zwei Mal eine Weiterbildung absolviert und ich sie begleitet hatte. Aufgrund des vielen Grüns mag ich die Stadt, außerdem hatte ich mir die Umgebung intensiv angeschaut.
Auch die Wettervorhersage sah gut aus. Am Sonntag würde es zwar ziemlich kalt sein, dafür sonnig und trocken. Vor allem war nur wenig Wind angekündigt. Die Frage war nur, ob ich für diese Temperaturen nun doch wieder die falsche Verpflegungsstrategie gewählt hatte. Diese sah nämlich vor, relativ viel zu trinken, weil ich in der Vergangenheit immer wieder mit Dehydrierung zu kämpfen gehabt hatte. Bei Läufen im Kalten hatte ich im Training aber deutlich weniger trinken können, als gut wäre. Für April waren wir von anderen Witterungsverhältnissen ausgegangen als Temperaturen um den Gefrierpunkt. Um aber umzuschwenken, war es jetzt zu spät. Es würde schon hinhauen.
Dennoch zeigte sich hier ein Manko des Hannover Marathon. Wahrscheinlich wurde an diesen Aspekt einfach nicht gedacht: die Eigenverpflegung konnte nur am Sonntag abgegeben werden, außerdem nur bis 8:00 Uhr. Weil die komplette Marathonmesse im Freien war (grundsätzlich in der Pandemie sehr begrüßenswert), gab es allerdings vor Ort keine Möglichkeit, sich bis zum Start warmzuhalten. Entsprechend mussten Svenja und ich in der Frühe einmal zum Start fahren, die Getränke abgeben, und wieder zurückfahren. Weil die U-Bahnen am frühen Sonntagmorgen mit größeren Abständen verkehren, war das sehr ungünstig.
Die Strecke des Hannover Marathon
Viel besser war da die Strecke. Hier gibt es nichts zu mäkeln: auf breiten, asphaltierten Straßen, flach und grün, sowohl mit Blick über See und Feld als auch durch die Stadt an den Sehenswürdigkeiten vorbei. Man kann sich den Marathon sehr gut dreiteilen. Das erste Drittel geht in den Süden, zunächst am Maschsee entlang und dann noch ein Stück weiter südlich, die Leine querend bis nach Döhren und Wülfel, dann parallel zum Hinweg schnurgerade zurück bis Hannover-Kröpke in die Innenstadt. Bevor das zweite Drittel startet, wird der Hauptbahnhof unterquert (hier hat das GPS-Signal keine Chance), dann geht es ins Grüne. Am Zoo vorbei durch den großen Stadtpark und noch ein Stück weiter bis zum Mittellandkanal, an dem die Streckenhälfte passiert wird. Zurück kommen einem ab dem Zoo andere Läuferinnen und Läufer entgegen. Schließlich beginnt in der Oststadt das letzte Streckendrittel, das durch die Innenstadt führt. Dort gibt es dann mehr Kurven, aber teilweise auch richtig Stimmung.
Der Hannover Marathon 2022
Nach dem Umstand, der durch die Flaschenabgabe verursacht wurde, lief alles nach Plan. Mit der U-Bahn auf der bekannten Strecke vier Stationen bis zur Markthalle und dem Landtag, von dort dann zu Fuß etwa 500 m bis zum Start und Ziel. Mit Thomas ging ich mich kurz einlaufen. Die Beine waren gut, immer wieder sah ich bekannte Gesichter.
Und dann konnte es losgehen.
Wobei – noch nicht so ganz. Da standen wir alle, leicht nervös, voller Vorfreude in der eiskalten Morgensonne zitternd hinter den Handbikern – und durften noch nicht los. Die beiden Moderatoren versuchten sich krampfhaft an guter Stimmung, die Strecke war aber noch nicht freigegeben. Obwohl ich das wirklich überhaupt nicht leiden kann, machte mir auch das an diesem Morgen aber nichts aus. Schließlich durften die Handbiker endlich los, kurz darauf startete unser Countdown.
Das Geschubse währte nur ganz kurz, dann ließ es sich gut laufen. Auf den ersten beiden Kilometern war noch nicht klar, welche Gruppe wie schnell sein würde, dann hatte sich alles sortiert.
Einfach rollen lassen
Während die ersten beiden Kilometer laut den Kilometermarkierungen etwas schnell (6’55 – ich fühlte mich an Kandel erinnert) waren, hatte ich ab dann mit Moritz Weiß nicht nur einen sehr guten Laufpartner gefunden, sondern ebenso den richtigen Rhythmus. Im Vorfeld hatten wir uns abgestimmt, dass unsere Vorstellungen gut zusammenpassen könnten. An diesem Morgen passten sie perfekt. Wir waren gut unterwegs, bei Kilometer vier gab es den Daumen hoch für meine Eltern, die extra zum Anfeuern nach Hannover gekommen waren.
Nach fünf Kilometern passte die erste Zwischenzeit mit 18’14 perfekt, allerdings riss gleich die erste Trinkflasche ab: zur besseren Sichtbarkeit hatte ich jeweils ein weißes Blatt zusammengerollt und angeklebt. Das war gut sichtbar und behinderte nicht beim Trinken. Scheinbar konnte es aber leicht reißen. Mist. Also ein kurzer Schluck Iso, das musste reichen.
Weiter ging es gen Süden, teils auf schmaleren aber dafür schöneren Straßen, im Gleichschritt neben Moritz, sehr gleichmäßig und mit gutem Tempogefühl. Wir hatten uns eingegrooved. Natürlich hätte es gerne so vollkommen mühelos weitergehen können wie auf den ersten beiden Kilometern, jetzt brauchte es einen Hauch mehr Druck, das Tempo war aber sehr komfortabel. Genau so, wie es beim Marathon sein sollte.
Zu Kilometer acht ging es ein kleines Stück leicht bergauf, dort lief Moritz bergan mit etwas mehr Druck, eine Lücke entstand aber nicht. Dann war der südlichste Punkt erreicht und es ging wieder zurück. Hin und wieder spürten wir jetzt doch den Wind, der aber noch nicht störte. Das Greifen der zweiten Flasche klappte dann auch sehr gut, diesmal riss das Papier nicht. Ich ließ mir Zeit mit dem Trinken, immer nur kleine Schlucke und etwas mehr, um die verpasste erste Flasche auszugleichen.
Für den zweiten Abschnitt stoppte ich 18’22, die ersten 10 km waren also nach 36’36 gelaufen.
Jetzt in größerer Gruppe
Vielleicht war das etwas langsam, für Moritz und mich hatte das minimal gemütlichere Tempo aber den Vorteil, das wir jetzt von der hinter uns laufenden Gruppe eingeholt wurden. Gemeinsam läuft es sich immer leichter, ich genoss es sehr, einmal in die zweite Reihe wechseln zu können und freute mich, einfach nur hinterherzulaufen. Weiterhin hatten wir das Glück, dass diese neue, größere Gruppe sehr gut harmonierte. Immer mal wieder lief jemand anderes vorneweg, bei den Verpflegungsstationen reihten wir uns so auf, dass jeder ohne Probleme seine Flasche oder einen Becher greifen konnte und wir waren wieder perfekt auf Kurs. Das Schild für die 15-km-Markierungen verpasste ich zwar, dafür griff ich meine dritte Flasche wieder ohne Probleme und konnte in aller Ruhe trinken. Das erste Streckendrittel war geschafft, jetzt ging es ins Grüne.
Auf diesem Streckenabschnitt fühlte ich mich sehr gut. Im Vorfeld hatte mir so mancher viel Spaß beim Rennen gewünscht, den hatte ich im Stadtpark definitiv. Unter dem grünen Blätterdach fühlte ich mich wohl, das Tempo war spielerisch, sodass auch ich immer wieder vorweg lief, gleichzeitig waren wir auch noch schneller. Nach 20 km war ich überrascht, dass wir nur 36’21 gebraucht hatten.
Die Streckenhälfte war dann nach 1h16’54 passiert, jetzt ging es zurück in Richtung Innenstadt. Auf diesem Streckenabschnitt wehte der Wind teils kräftig von vorne, dennoch liefen wir diesen Abschnitt in 18’14. Gefühlt lief zu diesem Zeitpunkt endlich einmal alles für mich bei einem Marathon zusammen: die perfekte Gruppe, die passende Verpflegung, die tolle Tagesform. Der Hannover Marathon würde endlich der Marathon sein, den ich immer einmal laufen wollte!
Auf der Suche nach dem perfekten Rennen
Beim Frankfurt Marathon war km 25 mit der Brücke vor Höchst immer der Knackpunkt: wenn ich mich dort gut fühlte, würde es ein gutes Rennen. In Hannover fühlte ich mich nicht nur gut, ich begann sogar zu überlegen, ab wann ich mich trauen sollte, den Hahn voll aufzudrehen und bis zum Ziel durchzuziehen. Schon bei Kilometer 30 oder lieber erst nach 35 Kilometern? Meine einzige Sorge war, dass ich weniger trank als geplant. Um auf Nummer sicher zu gehen, um nicht wieder den Mann mit dem Hammer zu treffen, nahm ich deshalb vorsichtshalber das Gel, das ich für den Fall einstecken hatte, dass ich eine Flasche verpasste. Das war nach etwa 27 km. Bis zur 30-Kilometer-Marke lief es weiterhin formidabel, diesen Abschnitt liefen wir sogar schneller als alle zuvor: 17’52.
Doch dann wendete sich das Blatt.
Von himmelhoch jauchzend zu tode betrübt, innerhalb weniger Minuten: mir war übel. Von der Flasche bei km 30 hatte ich wegen der ersten Ansätze schon nur ein paar Schlucke genommen, die letzten beiden Verpflegungsstationen ließ ich sogar ganz aus. Ich konnte mir nicht mehr vorstellen, überhaupt etwas hinunter zu kriegen. Jetzt, da ich keine Probleme mehr mit Krämpfen habe, entwickelt sich mein Bauch langsam zum Magen der Nation. Schnell musste ich Moritz und Stefan (Nr. 2642) ziehen lassen – herzlichen Glückwunsch an dieser Stelle, beide vollbrachten das Kunststück eines negativen Splits! Bis km 35 war ich jetzt schon mit 19’11 deutlich langsamer unterwegs. Noch versuchte ich aber alles, solange ich dieses Tempo zumindest würde halten können, ließe sich das verkraften.
Leider blieb es allerdings nicht dabei. Bei km 37 war ich einfach nur froh, alles bei mir zu behalten. Zwei Mal dachte ich kurz, die Hannoverschen Straßen schmücken zu müssen. Waren die Getränke doch zu kalt? Habe ich gerade an diesem Tag das Gel nicht vertragen und wenn ja, warum ausgerechnet heute? Erlaube ich mir einfach selbst nicht, einen grandiosen Marathon zu laufen?
Zwischen Enttäuschung und Stolz
Wegen der tollen Vorbereitung und dem perfekten Beginn des Hannover Marathon bin ich von dem Ergebnis enttäuscht. Es hätte doch endlich einmal klappen können! Die Zeichen standen so gut und dennoch wurde es doch wieder nichts, mit dem bis ganz zum Schluss durchgezogenen Marathon.
Dennoch war es ein gutes Rennen. Obwohl ich so gerne für eine Pinkelpause angehalten hätte (diesmal war ich definitiv nicht an der Grenze zur Dehydrierung), wollte ich unbedingt durchlaufen. Das hatte ich noch nicht allzu oft geschafft. Für den Abschnitt bis km 40 brauchte ich 20’47, trotz der Extrarunde, die man in Hannover laufen muss, war jetzt das Ziel in Sicht.
Das war schließlich nach 2:39:02 h erreicht, knappe sechs Sekunden schneller als in Düsseldorf 2018 und damit meine drittschnellste Marathonzeit bisher. Unter 2:40 h sieht nicht schlecht aus, ebenso wenig der 43. Platz bei einer Deutschen Meisterschaft. Aber: es war keine neue Bestzeit, keine Zeit unter 2h35 und erst Recht keine schnellere zweite Hälfte. Also nicht das, was ich mir vorgenommen hatte.
Was nicht ist kann ja noch werden
Im Ziel war ich auch nicht völlig KO. Der Magen hatte größere Anstrengungen verhindert. In Frankfurt hatte ich allzu oft zitternd in der Dusche gesessen, in Hannover war ich nicht direkt unterkühlt. Aber was nicht ist, kann ja bekanntlich noch werden. Nur mit einer Plastikfolie bewaffnet wurden wir durch einen schier endlos langen Zielkanal geschickt. Zwar gab es dort Verpflegung und die schöne Medaille aus Holz, bis ich mich gefühlt Stunden später bis zum mit Svenja vereinbarten Treffpunkt durchgekämpft hatte, war ich definitiv unterkühlt. In der U-Bahn zurück zitterte ich dann wieder unkontrolliert, sodass im Grunde wieder alles wie immer war.
Der Überblick
Datum: So, 03. April 2022
Ort: Hannover, Deutschland
Wettkampf: Hannover Marathon
Distanz: 42,2 km
Zeit: 2:39:02 h
Platz: 55. (43. bei den Deutschen Meisterschaften)
Crew: Svenja, meine Eltern und Thomas
Schuhe: adidas Adizero Adios Pro 2
Ernährung: Kohlenhydrat-Getränke vor dem Start und alle 5 km, 1 Gel
Fotos: Papa & Svenja
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