Deutschland kann Marathon! Gabius der (neue) Star in Lauf-Deutschland.
Arne Gabius ist der schnellste Arzt Deutschlands, wenn nicht sogar weltweit. Und nicht nur das: sieben Mal in Folge, von 2007 bis 2013, holt er den deutschen Meistertitel über 5000 m, wird 2012 sogar Vize-Europameister über die zwölfeinhalb Stadionrunden. Seine Bestzeit: 13:12,50 min. Beeindruckend für die, die sich auskennen.
Den wirklichen Durchbruch schafft er aber erst mit dem Wechsel auf die Straße. Seine Auftritte in New York und insbesondere sein Marathon-Debüt in Frankfurt machen ihn auch außerhalb Deutschlands und der Läuferszene zu einem Star. Mit 2h09‘32‘‘ stieg er ein und plant am 25. Oktober 2015 – wieder in Frankfurt – seinen nächsten Parforce-Ritt: ein jeder traut ihm eine Steigerung zu, er selbst spricht „nur“ vom deutschen Rekord, der seit 1988 Bestand hat. Und natürlich im Hinterkopf: die Qualifikation für die Olympischen Spiele nächstes Jahr in Rio de Janeiro.
Anfang September untermauert er mit dem deutschen Meistertitel über 10 km seine starke Form auf hohem Niveau. Wie geht es weiter, bis Ende Oktober? Laufen hilft will von den Besten lernen, freut sich über die Gelegenheit, Arne mit Fragen durchlöchern zu dürfen und ist gespannt auf das Gesamtkonzept des schnellsten deutschen Läufers:
Markus: Hallo Arne, wie geht es Dir? Wie verläuft die Marathonvorbereitung?
Arne: Die Vorbereitung läuft gut! Derzeit bin ich gerade etwas müde, weil ich gerade einen kleinen „block of volume“ im Plan stehen habe mit einem „special block day“ – aber das ist ja auch so gewollt. Auch der Halbmarathon in Hamburg lief ganz gut aus dem Training heraus – und heute wird es wieder hart, ich muss noch auf die Bahn und einen schnellen Fünfer laufen.
Markus: Am Sonntag in Hamburg war also „einfach“ nur Marathonrenntempo?
Arne: Genau. Die Strecke war durch eine Baustelle sogar noch etwas länger, der erste Kilometer war etwas speziell. Deshalb war alles in Ordnung. Ohne diesen Schlenker wäre ich bei einer 63’10 herausgekommen.
Markus: …was für den Marathon also 2h06’20 hieße?
Arne: Ja, das liegt an den Jungs, die in Frankfurt mit mir an der Startline stehen werden. Ich hatte in Hamburg zwei Tempomacher, von denen einer auch in Frankfurt dabei sein wird. Ich wollte gerne 3er Schnitt laufen, weil wir das in Frankfurt angehen werden. Wir werden die erste Gruppe sein, es wird also keine Gruppe vor mir geben. Eigentlich hieß es, es wird in 64‘ angelaufen, aber die Jungs machen immer Druck, deshalb wird – je nach Wetter und Tagesform – in 63’30 angegangen. Schneller dürfte es für mich nicht werden.
Markus: Das hört sich ordentlich und nach deutschem Rekord an. Warum wieder Frankfurt, weil es im letzten Jahr so gut lief? Hat die Vergabe der deutschen Meisterschaften etwas mit Deiner Entscheidung zu tun?
Arne: Die deutschen Meisterschaften spielen eigentlich keine Rolle! Der Termin von Frankfurt ist gut – insbesondere für Leute wie mich, die eine Bahnsaison absolviert haben. Ich habe zudem sehr viel trainiert, da passt ein später Termin einfach besser.
Außerdem kenne ich nach letztem Jahr die ganzen Abläufe einfach gut – die kurzen Wege mit dem Athletenhotel direkt beim Start- und Zielbereich, dazu die sehr, sehr schnelle Strecke, das super Organisationsteam um Jo, die Stimmung und die Emotionen vom letzten Jahr. Am Ende musste ich mich zwischen Frankfurt und New York entscheiden und habe Frankfurt gewählt, weil in New York kein Rekord gelaufen werden kann. Zum einen bin ich mittlerweile schon 34, zum anderen bin ich der festen Überzeugung, dass ich deutschen Rekord laufen kann! Jetzt soll es soweit sein. In New York kann ich auch im nächsten Jahr starten.
Markus: Ein Rekord ist auch immer sehr Medienwirksam.
Arne: Genau und dann noch in Frankfurt, da kommen schon viele Presseanfragen. Ich bin im Januar deutschen Hallenrekord gelaufen, dabei soll es nicht bleiben. Dazu ist Marathon die Königsstrecke. Im letzten Jahr bin ich in den Bereich der Bestmarke gekommen – die zweite Hälfte war im Rekordtempo, wir sind sehr verhalten angegangen, mit einer 65’08 – von daher gehe ich davon aus, dass es in diesem Jahr noch schneller gehen wird.
Markus: Und New York? Einfach weil es New York ist oder wegen deiner guten Beziehungen nach Amerika?
Arne: Man muss schon sagen: New York und Boston, das sind DIE Marathons. Wenn man die nationale Brille abnimmt, gibt es Berlin, wo immer Weltrekord gelaufen wird, und Boston wie New York als die traditionsreichsten Veranstaltungen weltweit. New York ist der bekannteste Marathon, Boston der älteste. Boston feiert im nächsten Jahr 120-jähriges Jubiläum. Solche Läufe machen den Reiz aus, dort werden Rennen gelaufen! Kipsang hat letztes Jahr in 2h11 gewonnen, das ist ein ganz anderes Laufen.
In Frankfurt jetzt geht es – wie für viele andere deutsche Jungs in Berlin – um die Zeit, da wird der Tank leer gemacht, „all out“, mit festen Splitzeiten bei 10 km und bei der Hälfte, bei 30 – alles ist durchgetaktet. Auf der anderen Seite gibt es dann Rennen wie in New York, da interessieren solche Zeiten nicht. Zwischenzeiten sind zwar nett – da sind im Übrigen die Meilen schöner, da kann man nichts mit anfangen, da müsste man Rechnen – aber da geht es ums Gewinnen.
Markus: Heißt das, dass es beim „richtigen“ Laufen immer um den Sieg geht?
Arne: Nein, auch wieder nicht. Beide Herangehensweisen sind richtiges Laufen. Es sind nur komplett unterschiedliche Arten von Laufen, die aber ineinander übergehen. Wenn in Frankfurt beispielsweise wie in den letzten Jahren bis zum Schluss Läufer zusammen sind, geht es auch nur noch um den Sieg – teilweise mit Spurtentscheidungen in der Festhalle. Oder wenn wie im letzten Jahr komplett verrückt angelaufen wird und am Ende gebüßt werden muss. Ganz anders als in Berlin, wo alles auf den Weltrekord ausgerichtet ist.
Markus: „Richtig“ Laufen so gemeint, dass ein gewisses Niveau erreicht sein muss um dann überhaupt erst taktisch Rennen mitgestalten zu können.
Arne: Ja, was aber auf der Bahn genauso ist. Man muss ein Niveau von ca. 13‘ haben, um über die 5000 m um eine Medaille mitlaufen zu können. Da reicht es nicht, die letzten 400 m in 55‘‘ oder noch schneller rennen zu können. Vorher muss man erst einmal dran bleiben. Wenn man jetzt wieder gesehen hat, wie Mo Farah den letzten Kilometer in 2’19 gelaufen ist… das habe ich noch nicht einmal so geschafft!
Markus: Wenn Du es jetzt sowieso angesprochen hast: Deine Bahnkarriere ist definitiv beendet?
Arne: Ja, mit Peking war Schluss, das war ein guter Schlusspunkt. Letztes Jahr wurde das schon eingeleitet, jetzt ist der komplette Umstieg auf die Straße. Keine neue Karriere, aber eine andere Richtung.
Markus: Konntest Du Peking denn noch genießen? Weil es zwischendurch leider doch sehr gequält wirkte?
Arne: Na ja, in jedem Rennen muss man sich eigentlich quälen. Am Wochenende in Hamburg, das konnte ich genießen – aber Bahnrennen generell, da sind immer Schmerzen. Während des Trainings und drum herum, da macht es oft Spaß. Aber im Rennen selbst, da wird es hart. Peking selbst war toll, aber auch dort muss gearbeitet werden.
Markus: Nochmal zurück zu Frankfurt: Was ist anders an der Vorbereitung? Natürlich ist sie dieses Jahr länger, aber ist sie dadurch auch besser?
Arne: Ja – das ist mir auch etwas schwer gefallen. Ich habe mit Renato (Canova, Anm. d. Red.) sehr viel in Peking gesprochen. Es ist ja nicht so, dass man den Plan vom letzten Jahr nehmen kann und einfach alles 5% schneller macht. Man muss immer schauen, dass man nicht in Programmen denkt. Man darf nicht immer nur von Tempotraining zum nächsten denken, weil man ein bestimmtes Zeitziel im Hinterkopf hat. Das wäre ein Fehler. Du musst den Trainingsplan immer Deinem derzeitigen Trainingsstand anpassen. Marathon ist immer etwas Extremes. Gerade auch wegen des sehr intensiven Trainings. Man muss immer hinterfragen, was man gerade macht.
Natürlich war bei mir im letzten Jahr das Training durch einen gewissen Pioniergeist geprägt. Es war etwas Neues. Der Lauf war unglaublich, nach meinen damaligen Vorstellungen. Und auch das Training, dass ich auf einmal 250 Wochenkilometer gelaufen bin – und noch mehr hätte laufen können.
Dieses Jahr ist anders, konzentrierter, fokussierter. Ich glaube sogar, dass das Training nochmal härter ist, und dass ich in einer deutlich besseren Verfassung bin als letztes Jahr.
Markus: Wie viel Einfluss hat der berühmte und vielgenannte Renato Canova wirklich auf Dein Training? Wer macht den Trainingsplan? Ist er Dein Trainer oder „nur“ Berater?
Arne: Ich mache den Plan und er berät mit seiner ganzen Erfahrung. Deshalb war es auch so gut, ihn noch einmal in Peking getroffen zu haben. Es ist einfach etwas anderes, sich persönlich mit ihm drei Stunden zu unterhalten und zu diskutieren. Man bekommt einfach mehr Geschichten drum herum mit, als wenn man nur Emails schreibt.
Wir haben nochmal über Trainingsansätze und Herangehensweisen gesprochen. Auch an konkreten Beispielen. Durch über 40 Jahre Erfahrung als Trainer mit unzähligen Athleten ist sein Wissen enorm.
Ich habe einen Grundplan, den ich ihm schicke, mit Tempoprogrammen und geplanten Kilometern. Nach seinen Anmerkungen wird dann immer angepasst. Gestern beispielsweise habe ich eine Mail bekommen, dass er für die nächste Woche nicht ganz glücklich mit der Regeneration ist. Dann muss ich schauen, ob ich auf ihn höre… ich muss immer mein Körpergefühl mit hereinbringen.
Aber er hat die Erfahrung – ich habe schon einmal gedacht, dass ich schon weiter wäre und genug regeneriert hätte, um bereits wieder Tempoläufe zu machen, bei einer speziellen Einheit – aber das ging nicht. Man merkt sofort, ob man schon wieder erholt ist von den letzten drei, vier Tagen oder ob es besser ist, lieber noch einmal „medium“ zu laufen. Die Einheiten sind eben hart, mit Umfängen von 20, 30 km und mehr.
Markus: Und motivieren kannst Du Dich immer? Oder wäre es doch ab und zu besser, jemanden zu haben, der Dich antreibt?
Arne: Im Moment bin ich nun einfach alleine. Meine Freundin arbeitet, ich trainiere morgens und abends, auf mich selbst gestellt. Ich weiß nur, dass Renato immer mal drüber schaut, aber grundsätzlich bin ich auf mich gestellt. Und das geht!
Markus: Fällt dann ab und zu eine Einheit aus oder gar nicht?
Arne: Dafür habe ich im Trainingsplan sogenannte „muss“- und „kann“-Einheiten. Das habe ich damals 2011 eingeführt. Die „muss“-Einheiten sollten eigentlich immer klappen, das wären beispielsweise „peak-programs“ oder auch längere Läufe.
Die „kann“-Einheiten sind zusätzliche Läufe von 10 bis 15 Kilometer, die immer gut sind, wenn ich sie mache, damit ich auf meine Wochenkilometer komme, aber wenn es mir nicht gut geht kann ich diese Einheiten auch weglassen. Dann koche ich mir abends lieber etwas, als nochmal unbedingt 40 Minuten rauszugehen und meine 10 km zu absolvieren.
Markus: Sind es dann am Ende doch wieder die Kilometer, die zählen, die das Training ausmachen?
Arne: Nein, die Wochenkilometer sind einfach ein Indikator der Belastung. Man hat einfach eine gewisse Vorstellung mit der magischen Grenze 200. Wenn man sich gehen lässt, dann hat man am Ende der Woche nur 150 km und hat sich eben nicht so belastet, wie man sollte, selbst wenn man drei Tempoeinheiten absolviert hat. Die Kilometer braucht man trotzdem!
Ich habe in dieser Vorbereitung zu Beginn sehr viele Kilometer gemacht, also 250 bis 260, über vier Wochen. Aber dann muss man auch wieder etwas zurücknehmen, darf es aber nicht schleifen lassen. Sonst wundert man sich am Ende der Woche, warum man noch so frisch ist.
Ich bin kein Fan von Fahrradfahren oder Aquajoggen und muss es zum Glück auch nicht machen. Trotzdem muss ich mich im Training ausreichend belasten. Dafür sind die Kilometer in Summe ein guter Indikator.
Markus: Wie schaffst Du es bei dieser Belastung, verletzungsfrei zu bleiben? Ist es dort von Vorteil, Medizin studiert zu haben?
Arne: Das ist eine Kombination aus Wissen und Erfahrung. Natürlich kann ich mit meinen Physiotherapeuten – ich werde schon seit 20 Jahren betreut – anders sprechen als ein medizinischer Laie, mit Fachbegriffen und genaueren Erklärungen zu meinen Schwachstellen. Aber gerade erst die Kombination mit meinen persönlichen Erfahrungen macht es dann aus.
In der Marathonvorbereitung werde ich zwei Mal pro Woche für eine Stunde behandelt.
Markus: Und zusätzlich dazu noch in Eigenregie? Mit der Schaumstoffrolle, Dehnen…?
Arne: Ich bin kein Blackroll-Fan, mag das einfach nicht. Ich dehne sehr viel und habe den sogenannten R8, ein U-förmiges Gerät mit Inline-Skates-Rollen. Dazu habe ich noch einen Metallstick für die Faszien und eine neue Rolle für die Achillessehne. Stabi-Training mag ich auch nicht, danach kann ich immer zwei Wochen nicht laufen. Da mache ich lieber dynamische Seilzugübungen. Ich habe mit der Zeit meinen Rhythmus gefunden und weiß, was mir guttut und was mit nicht so guttut. Das ist, denke ich, sehr individuell, das muss jeder für sich selbst herausfinden.
Markus: Ebenso hast Du herausgefunden, dass Du eher zügig laufen musst, weil Dir die langsamen Kilometer nicht gut tun. Kommt das ganz automatisch oder musst Du auch etwas drücken, um unter einen 4er Schnitt zu kommen?
Arne: Richtig, alles sollte schneller als 4‘ pro Kilometer sein. Einfach dadurch, dass die Stützmuskulatur entlastet wird, wenn ich schneller laufe, weil die Bodenkontaktzeiten kürzer sind. Bei langsameren Tempo wird Muskulatur belastet, die ich sonst, wenn ich schneller laufe, gar nicht brauche.
Manchmal denkt man dann schon: „ach, muss ich jetzt wirklich 3’50 laufen?“, aber es geht. Und es macht auch Spaß, man kommt einfach rein. Manchmal schalte ich die Auto-Lap-Funktion an der Uhr einfach aus, und trotzdem laufe ich dann, einfach so, deutlich unter einem 4er Schnitt. Das ist nun einmal meine Geschwindigkeit, und so bin ich auch schneller zu Hause. Allein bei 15 km macht das eine viertel Stunde Zeitunterschied aus.
Markus: Gibt es eine besonders wichtige Einheit bzw. Einheitenkombination für den Marathon?
Arne: Nun, es ist erst mein zweiter Marathon, so viel Erfahrung habe ich also nicht. Letztes Jahr hatte ich so ein paar Einheiten, da war ich begeistert, die waren gut für’s Selbstbewusstsein und danach wusste ich: jetzt schaffe ich den Marathon. Das verleitet dann dazu, dieselben Einheiten in der nächsten Vorbereitung wieder zu machen, um Sicherheit zu bekommen. Wenn man dann weiß, welche Zeiten man acht oder drei Wochen vor dem Marathon gelaufen ist. Damit kann man sich vergleichen. Auf der einen Seite toll, um die Form zu überprüfen und Sicherheit zu bekommen, auf der anderen natürlich gefährlich. Eine solche Einheit habe ich jetzt gemacht, 5×5 km, und bin die deutlich schneller als letztes Jahr gelaufen. Das hat mir Sicherheit über die Form gegeben.
Das Risiko dabei: hätte ich vorher die Regeneration vernachlässigt und die Einheit wäre schlechter gewesen als letztes Jahr, dann fängt das Denken an. Und in der Marathonvorbereitung hat man leider sehr viel Zeit zum Denken, weil man sehr lange unterwegs ist. Deswegen ist immer ein Risiko dabei, wenn man Einheiten wiederholt.
Markus: Was also heißt, dass Dein Training sehr kreativ ist?
Arne: Das ganze Training muss kreativ sein, auch auf der Bahn muss man die Standardprogramme hinter sich lassen. Im letzten Jahr war alles recht unkonventionell und kreativ. Vielleicht hätte ich ja schneller sein können, wenn ich anders trainiert hätte? Nur weil ein Konzept einmal funktioniert hat, muss darauf nicht bestanden werden. Das ist das Tolle an Renato, er hat immer neue Ideen und bringt neue Ansätze ins Training.
Ich glaube, dass ich gerade im Marathon noch unglaubliches Steigerungspotential habe. Da kann ich noch sehr, sehr viel machen. Überdistanzläufe beispielsweise habe ich noch gar nicht gemacht. Das ist das Spannende am (Marathon-)Training, es soll ja nicht langweilig werden. Auch als Bahnläufer habe ich nicht immer 15×400 oder 10×1000 m trainiert.
Markus: Wie lange planst Du jetzt für die Zukunft? Erst einmal nur bis Rio oder dann auch noch weiter?
Arne: Das wird weitergehen. Warum sollte ich aufhören? Ich habe Spaß am Laufen und solange der Spaß da ist, ist alles ok. Ich glaube, das letzte Jahr war erst der Anfang einer tollen Marathonkarriere – ich habe auch noch vor Boston, New York und London zu laufen!
Markus: Aber im nächsten Frühjahr dann keinen Marathon mit Hinblick auf Rio?
Arne: Doch, ich habe eigentlich vor, im Frühjahr auch noch einen Marathon zu laufen. Im letzten Jahr hatte ich nach Frankfurt einen Frühjahrsmarathon ausgeschlossen. Aber dann saß ich in Kenia und habe einige Marathons gesehen – und dann saß ich etwas wehmütig vor dem Fernseher und dachte: eigentlich hätte ich jetzt schon Lust, Marathon zu laufen.
Also warum nicht? Es ist auch immer eine Frage der Vorbereitung, wie viel Aufwand und Energie man ins Training investiert. Von daher: es ist genug Zeit bis zum Olympiamarathon am 21. August und ich habe Lust, also werde ich im Frühjahr einen Marathon in Angriff nehmen.
Markus: Sehen wir dann auch (endlich) einen schnellen Halbmarathon von Dir? Weil Du bis jetzt „nur“ in New York durchgekommen bist und die Strecke keine richtig schnellen Zeiten zulässt.
Arne: Ja, der wird sicherlich kommen. Auch im Frühjahr, auch dort wird sich die Frühjahrsmarathonvorbereitung von jetzt unterscheiden. Ich werde sicherlich bei zwei Halbmarathons, bei internationalen Toprennen, in Erscheinung treten.
Auch das Höhentraining wird im Frühjahr eine andere Rolle spielen, weil ich auch wegen den Witterungsbedingungen viel in Kenia trainieren werde. Eine Marathonvorbereitung ist immer unterschiedlich! Natürlich müssen wir abwarten, wie sich das Wetter dort entwickelt – das nächste Jahr wird ein Regenjahr – aber sonst sind die Bedingungen ideal, mit kaum Asphalt und vielen Kilometern Lehmpiste, außerdem habe ich dort viele Freunde, beispielsweise die beiden Robertson-Zwillinge, sodass die Trainingsgruppen ideal sind. Auch die Unterkunft ist super und dazu das Höhentraining auf fast 2500 m – solche Bedingungen findet man sonst nirgends auf der Welt.
Markus: …und die Halbmarathonzeit von Zane wäre sicher eine gute Marke! (59’47, Anm. d. Redaktion)
Arne: Jap! Zane ist schon eine Inspiration. Ein paar Tage vor dem Rennen schrieb er mir, dass er unter 60 bleiben wird. Gesagt – Getan!
Aber da hat er sich eher in Äthiopien vorbereitet. Er legt meist die Grundlagen in Kenia und die harten Tempoläufe werden dann in Äthiopien gemacht – das ist jetzt relativ neu: die Langen harten, die auch fest im Canova-Training integriert sind und wo man am Ende mit 35-40 km herauskommt.
Markus: Ist Äthiopien dann auch für Dich eine Option?
Arne: Habe ich auch schon überlegt! Ich sollte daran denken, vielleicht auch mal in Addis Abeda zu trainieren. Ich bin dafür offen, wobei Kenia einfach sehr gut ist im Winter. Das ist in Amerika beispielsweise nicht gegeben, im Winter. Aber Äthiopien ist sicher eine Überlegung wert, insbesondere, wenn Kenia „überlaufen“ ist – man will manchmal auch seine Ruhe im Training.
Markus: Willst Du in diesem Zusammenhang auf die Dopingvorwürfe in Kenia eingehen?
Arne: Das würde den Rahmen des Interviews sprengen. Da verweise ich auf Interviews, die ich vor, während und nach der WM gegeben habe. Auch will ich ab jetzt mich voll auf das Rennen konzentrieren und nicht ständig über Doping reden, sonst kann meine Leistung darunter leiden.
Markus: Wie oft wirst Du selbst denn kontrolliert?
Arne: Dieses Jahr sechs bis sieben Mal, aber da wird noch etwas dazukommen. Aber das ist es ja! Es kommt darauf an, auf was getestet wird! Das ist immer die entscheidende Frage. Lance Armstrong wurde über 300 Mal kontrolliert. Die Wissenschaft benötigt mehr finanzielle Mittel, um neue Methoden zu entwickeln, um die Schuldigen auch wirklich zu überführen. Eine Aussage über Anzahl der Dopingkontrollen allein reicht nicht aus! Das sagt absolut nichts aus.
Markus: Aber darauf hat der Athlet selbst ja überhaupt keinen Einfluss.
Arne: Genau! Und dennoch wird er zusätzlich belastet mit der Pflicht, immer seinen Aufenthaltsort benennen zu müssen. Dazu die Angst durch Gerüchte, wie dass Nahrungsergänzungsmittel verseucht seien. Oder wie in China, wo alle Athleten wegen des Essens verunsichert waren. Da denke ich mir schon: was machen wir hier eigentlich? Es muss mehr Geld dafür aufgewendet werden, zuverlässige Tests zu entwickeln um insgesamt mehr Klarheit zu bekommen.
Markus: Nimmst Du denn Nahrungsergänzungsmittel?
Arne: Derzeit ein Eisenpräparat und Magnesium.
Markus: Ansonsten bist Du in Ernährungssachen ja bekennender Vegetarier. Macht es schneller, kein Fleisch zu essen oder ist das nur Geschmackssache?
Arne: Im Endeffekt ist alles nur eine Geschmackssache. In China habe ich beispielsweise lebende Skorpione gesehen, die am Spieß bei lebendigem Leib frittiert und gegessen werden. Das mögen die Leute dort. Ich selbst bin seit 20 Jahren Vegetarier, ich kann nicht sagen, ob ich damit schneller bin. Oder ob ich beispielsweise vegan noch schneller wäre. Ich beschäftige mich von daher auch nicht mit der Frage. Ich verzichte einfach freiwillig auf Fleisch, wobei das kein „Verzicht“ ist. Ich genieße das sogar.
Markus: Gibt es ein Wettkampfgewicht, das Du gezielt erreichen willst?
Arne: Im Marathon wird das automatisch erreicht! Man läuft einfach sehr viel. Wer dann noch auf die Ernährung achtet, erreicht das Gewicht, mit dem man meint, am schnellsten laufen zu können, ganz von allein. Da brauchen wir uns keine Sorgen zu machen, wie die Hochspringer beispielsweise, bei denen ein Kilogramm ca. 2,4 cm ausmacht.
Markus: Praktizierst Du die Saltin-Diät vor dem Marathon?
Arne: Ja, allerdings schon zehn Tage vorher. Also von Freitag bis Dienstag. Freitags ist mein letzter Langer, bei dem ich mich „leer“ mache. Dann bis Dienstag, wo nochmal ein Fahrtspiel oder etwas Ähnliches ansteht. Und dann kann ich auffüllen. Ich fülle ein paar Tage vorher auf, um keine Magen-Darm-Probleme zu bekommen.
Markus: Wie sehen ansonsten – außer der Ernährung – die letzten Tage vor dem Wettkampf aus?
Arne: Ach, die sind toll! Man ist in den letzten Tagen im Vergleich zur sonstigen Vorbereitung immer gesättigt und unglaublich erholt – dementsprechend hoch ist die Laune und die Vorfreude auf den anstehenden Wettkampf. Man kann so viel essen, wie man will, die Vorfreude steigt. Natürlich ist auch Anspannung mit dabei, aber gerade in Frankfurt hat man dann viele Termine. Alles gut! Die letzten Tage sind toll. Jetzt gerade ist die harte Zeit.
Markus: Wie sieht dann der “typische” Wettkampftag bei Dir aus? Wann stehst Du auf, was isst Du, wie wärmst Du Dich auf?
Arne: In Frankfurt gibt es den Luxus, dass man wegen der Zeitumstellung länger schlafen kann. Das hatte letztes Jahr auch dazu geführt, dass ich verschlafen habe, weil sich die Uhr falsch umgestellt hat. Das hat dann aber nichts ausgemacht, ich habe den Spaziergang einfach ausgelassen und bin direkt zum Frühstück.
Ich werde mich wieder 65-70 Minuten vorher einlaufen, das kenne ich immer noch von der Bahn, dann habe ich genug Zeit. Dann der Lauf und dann kann kommen was will – wahrscheinlich stehe ich dann wieder zwei bis drei Stunden an der Dopingkontrolle (hoffentlich!), aber trotzdem ist dann alles gut.
Markus: Was machst Du dann als erstes, wenn der Wettkampf geschafft ist?
Arne: Dann geht es in den Urlaub. Ab Donnerstag nach dem Rennen bin ich für drei Wochen weg.
Markus: Du machst dann also wirklich komplette Laufpause? Es gibt auch ganz andere, die dann beispielsweise noch einen Zehner laufen.
Arne: Nein, das heißt dann wirklich Laufpause. Habe ich im letzten Jahr auch gemacht, als ich nach den vielen Wettkämpfen und der EM wirklich 2,5 Wochen gar nicht gelaufen bin. Doch, dreimal bin ich kurz gelaufen – mehr, um mich zu bewegen, das hat nichts mit Training zu tun. Ich werde zwar aktiv sein, muss mich aber wirklich auch erholen. In den ersten drei Tagen nach dem Wettkampf wird etwas gelaufen, um die Regeneration zu beschleunigen, aber dann wird knappe drei Wochen nichts gemacht.
Markus: Wie lange brauchst Du dann insgesamt, um Dich komplett von einem Marathon zu erholen?
Arne: Das ist natürlich schwer zu sagen. Die drei Wochen auf jeden Fall – man hat dann auch mal keine Lust zu laufen. Daran mache ich das fest: solange ich keine Lust habe, lasse ich es, auch wenn die Pause dadurch eine Woche länger wird. Da kann man beispielsweise mit Krafttraining locker wieder einsteigen. Die Lauflust kommt dann wieder.
Letztes Jahr sind mir zunächst die Tempoläufe schwer gefallen. Nach sechs bis sieben Wochen hatte ich damit wieder angefangen, und da ist die Geschwindigkeit sehr schwer gefallen. Murakami (Haruki Murakami, Autor von „Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede“, Anm. d. Red.) hat nach seinem 100er mal von einem „Running-Blues“ geschrieben, das trifft es ganz gut. Ein bisschen Running-Blues hat man wohl nach jedem Marathon, den man „all out“ läuft. Ich gebe meinem Körper die Zeit, die er braucht. Nächstes Jahr wird lang!
Markus: Was sind Deine nächsten und was sind Deine ganz großen Ziele?
Arne: Du hast es ja schon angesprochen: Rio! Rio ist das Ziel. Aber damit beschäftige ich mich erst nach Frankfurt. Und auch damit, welchen Marathon und welche Halbmarathons ich im Frühjahr laufen werde, wo ich die Trainingslager plane und so weiter. Im Dezember fängt es wahrscheinlich in Kenia an, das hängt natürlich auch davon ab, wie Frankfurt jetzt ausgeht.
Markus: Gut, abschließend vielleicht noch eine Frage zum Privatleben: Wie viel Zeit bleibt bei all dem Trubel? Was machst Du gerne, wenn Du nicht läufst?
Arne: Puh, was mache ich, wenn ich nicht laufe? Also im Moment besteht mein ganzes Leben nur aus Laufen. Es ist wirklich ein Vollzeitberuf. Ansonsten lese ich gerne, interessiere mich weiterhin für die Medizin. Ich bilde mich fort. Das könnte man nennen. Natürlich verbringe ich gerne viel Zeit mit meiner Freundin – wir reisen gerne, wenn es die Zeit zulässt. Und das lässt sich ja oft gut mit den Rennen verbinden. In New York war sie 2014 und 2015 beispielsweise dabei. Es ist viel Wert, wenn man Zeit zu zweit hat, da ist es auch manchmal uninteressant, was man macht.
Markus: Wenn Du sagst, Du bildest Dich weiter fort, ist es also fest geplant, als Arzt zu praktizieren?
Arne: Klar, ich habe acht Jahre Medizin studiert! In dem Beruf will ich drin bleiben. Natürlich werden sich Parallelen zum Laufen ergeben. Kommt dann darauf an, in welche Richtung es geht. Aber es gibt nichts Besseres, als wenn ein Arzt selbst Sport gemacht hat bzw. macht und seine Erfahrungen an die Patienten weitergehen kann. Ich werde irgendwo im medizinischen Sektor Fuß fassen – die Möglichkeiten sind riesengroß. Das wird spannend! Ich habe meine Zulassung, warum sollte ich nicht als Arzt arbeiten. Es wäre doch idiotisch, jetzt noch BWL zu studieren und in der Marketingabteilung zu verschwinden. Ich bin Mediziner, da ist es naheliegend, in dieser Sparte zu bleiben, und dabei dem Sport verbunden zu bleiben.
Markus: Vielen Dank für Deine Zeit. Weiterhin viel Erfolg und schnelle Beine, insbesondere in Frankfurt! Hast Du einen abschließenden Tipp? Zum Laufen allgemein oder auch speziell zum Marathon?
Arne: Spaß haben! Wenn man keine Lust hat, soll man es sein lassen!
Und für die Hobbyläufer: die Langen nicht vergessen! Auch wenn man nur 70 oder 50 Kilometer in der Woche läuft, sollte man mal drei Stunden unterwegs sein im Training. Das ist das aller Wichtigste, sonst wird es wehtun.
Markus: Wenn aber Dein Tipp „Spaß haben“ heißt, hieße das doch aber, eher gar nicht zu laufen?
Arne: Nein, warum? Laufen macht Spaß! Und Marathon ist eine Grenzerfahrung für jeden. Aber wenn man nur ab und zu zehn Kilometer läuft, sollte man sich dort nicht quälen.
Im Wettkampf, klar – irgendwann tut es weh. Letztes Jahr waren bei mir die ersten 30 Kilometer locker. Aber hinten raus tut es nun mal weh, das ist dann Arbeit. Aber Marathon will man ja auch laufen, um ihn sich zu verdienen!
Gerade Leute, die vier, fünf Stunden laufen, für die wird es ab 25 km wehtun. Aber das sind die Grenzerfahrungen, die man machen möchte.
Sehr schönes Interview, Danke!
Danke an Arne! 🙂