Wir leben in einer Leistungsgesellschaft. Arbeit wird stets als wichtiger gesehen als Erholung. Da macht es keinen Unterschied, ob wir von Beruf oder Sport sprechen: harte Arbeit bringt uns weiter, die Regeneration steht im Hintergrund. Wer die Beine hochlegt könnte in der gleichen Zeit auch etwas Sinnvolles tun und (an sich) arbeiten!
Denken wir an unser Training für einen bestimmten Lauf bzw. eine bestimmte Bestzeit zurück, kommen uns vor allem an die Kerneinheiten in den Sinn: die harten Tempoläufe, die schnellen Intervalle oder die fordernden langen Läufe. Die Einheiten eben, die uns spürbar weitergebracht haben. Und auch in der Gesellschaft wird es wohlwollend hingenommen, wenn man „ranklotzt“. Wer sich ausruht wird schnell als faul abgestempelt. Die Folgen können burn-out im Job oder stagnierende Leistungen im Sport sein.
Festhalten müssen wir: in Sachen Erholung wurde noch nicht viel geforscht. Der aktuelle Stand wurde von David Eccles und seinen Kollegen (siehe Literaturangabe am Ende des Beitrags) ganz aktuell im April im Paper “The forgotten session” recherchiert. Die Ergebnisse möchte ich hier gerne vorstellen.
Im Blogbeitrag „die lohnende Pause“ habe ich das Thema bereits angeschnitten, wobei es dort eher um die Pausen zwischen Intervallen als um die Regenration zwischen zwei Trainingseinheiten geht. Die Grundaussage bleibt aber gleich:
„In der Pause wird man schneller. Denn nach dem General Adaptation Syndrome nach H. Selye (1978) und auch nach dem Prinzip der Superkompensation erfolgt die körperliche Anpassung an den Trainingsreiz stets erst in der Erholung nach dem Training. So gesehen sind die Pausen zwischen dem Laufen also noch wichtiger als das Laufen selbst.“
Kommen wir also zu den wissenschaftlichen Erkenntnissen des Papers „the forgotten session“:
Erholung ist die Trainingseinheit, die vergessen wird
Erholung ist wesentlich für die Leistung und das Wohlbefinden. Insbesondere (Weltklasse-)Athleten legen Wert darauf, sich in der Saisonpause eine Auszeit zu nehmen, um sich zu regenerieren, Bilanz zu ziehen und noch motivierter zurückzukommen (Hope, 2015). Dennoch hat die Regeneration bisher wenig Aufmerksamkeit in der Forschung bekommen.
Um dem genauer nachzugehen, wurde im Paper zu den drei Feldern Regeneration, Lernfähigkeit und Entwicklung von Expertise recherchiert. Erholung wird in all diesen drei Feldern als eine Schlüsselkomponente innerhalb der Konzeptualisierung von Erholung betrachtet (Kellermann et al., 2018 / Shea et al., 2000 / Ericsson et al., 1993). Außerdem ist sie auch das effektivste Mittel, um Übertraining und burn-out vorzubeugen oder zu behandeln.
In der Praxis muss berücksichtigt werden, dass Erholung nicht nur physisch erfolgen muss, sondern auch die Psyche eine Rolle spielt. Das habe ich persönlich immer wieder in der Marathonvorbereitung festgestellt. Auch wenn noch nicht empirisch belegt ist, dass wir physisch regelmäßige Regenerationswochen brauchen, helfen sie doch sehr: wenn man weiß, dass lockerere Einheiten folgen, kann man in der Belastungszeit mehr geben. Der Kopf trainiert mit.
Gehen wir darauf genauer auf die drei Themenblöcke ein:
1. Regeneration
Ruhe zu halten bzw. einfach einmal nichts zu tun wird als eine „Methode“ zum Erholen betrachtet: als die passive Alternative im Vergleich zur aktiven Erholung wie bspw. das Auslaufen. Training ist immer ein Wechsel zwischen Belastung (Trainingseinheit oder Wettkampf) und Ruhe. Wichtig ist in den Zwischenräumen der Unterschied von physischer und psychischer Regeneration.
Generell wird ohne genügend Regeneration Übertraining mit Symptomen wie Müdigkeit, Formverlust und Stimmungsschwankungen als auch Burnout begünstigt (Meeusen et al., 2013). Regeneration ist für den Erholungsprozess fundamental!
Wissenschaftliche Lücken bleiben allerdings nach wie vor in unserem Verständnis der Beziehungen zwischen Regeneration und Erholung. Regeneration wird manchmal als Methode verstanden, um sich zu erholen. Allein die physische Aktivität zurückzufahren muss aber keine Entlastung der Psyche zur Folge haben.
1.1 Die psychologische Distanz
Hier ist psychologische Distanz der Schlüssel. Gemeint ist, dass nicht nur der Körper ruht, sondern auch die Gedanken nicht ständig um ein und dasselbe Thema kreisen: dass wir beispielsweise im Feierabend nicht weiterhin an die Arbeit denken oder auf das Laufen bezogen nicht immer an das nächste harte Training. Die psychologische Distanz hängt stark positiv mit der mentalen Energie und ebenso stark negativ mit dem Verletzungsrisiko zusammen. Nur wer auch im Kopf ausgeruht ist, läuft und arbeitet nach seinen Möglichkeiten.
Nach dem Erholungsmodell von Eccles und Kazmier (2019) fühlen sich mental ausgeruhte Athleten frisch und mental nicht ausgeruhte Athleten müde. Erstere schätzen ihren Sport, brüten nicht so viel darüber und denken im Allgemeinen weniger „anstrengend“. Auch variieren sie in ihrer Freizeitgestaltung mehr, sowohl von der geografischen als auch von der sozialen Seite. Wer immer nur an seinen Sport denkt, ist laut dem Modell früher mental ermüdend und weniger motiviert. Bei Profisportlern kann das zu einem Problem werden: auf ihnen lastet nicht nur ein höherer Leistungsdruck als bei Amateuren, das immerwährende Beschäftigen mit dem Sport behindert die Regeneration.
Speziell in Bezug auf unsere Arbeit sprechen wir bei der psychologischen Distanz von einem Teufelskreis (Sonnentag, 2018): nach einem anstrengenden Tag, von dem wir uns mehr erholen müssen, fällt es uns schwerer, nicht an die Arbeit zu denken, was wiederum die Regeneration behindert: psychologische Distanz ist dann am schwersten, wenn wir sie am nötigsten haben. Hier hilft geografische Distanz. Ich persönlich kann sehr gut abschalten, wenn ich mit dem Rad nach Hause fahre. Das fehlt derzeit, wenn wir im (Corona-)Homeoffice sind.
2. Lernfähigkeit
Bei der im Paper betrachteten Lernfähigkeit geht es um das Erlernen motorischer Fähigkeiten. Ein Beispiel wäre entsprechend das Erlernen einer neuen, koordinativ schwierigen Lauf-ABC-Übung. Die wichtigste Erkenntnis aus der Literatur ist, dass aufgeteiltes Training besser ist als ein großer Trainingsblock (wie bei einer der Grundregeln des Ausdauersports: Häufigkeit vor Dauer). Das ermöglicht das Umsetzen im Gehirn: die Gedächtniskonsolidierung beinhaltet die neurobiologische Metamorphose von Erinnerungen aus relativ instabilen Zuständen in eine dauerhaftere Form, ein Prozess, der Stunden bis Tage dauert.
Die Forschung von Craig et al. (2018) hat weiterhin gezeigt, dass die unmittelbare Leistung nach der Übung motorischer Fähigkeiten und das längerfristige Lernen größer sind, wenn auf die Praxis unmittelbar eine Ruhephase, als eine gleich lange Periode mit sensorischer Stimulation (z. B. bei der eine visuell-räumliche Aufgabe ausgeführt wird) folgt. Die führende Erklärung für diesen Ruhe-Effekt ist, dass sensorische Stimulation die Gedächtniskonsolidierungsprozesse stört. Diese Störung führt zu einer verarmten Gedächtnisstruktur, und daher gilt: je mehr Erholung zwischen den Übungseinheiten, desto besser das Lernen. Deswegen ist Schlaf auch so wichtig, um neue (Lern-)Reize zu verarbeiten.
3. Entwicklung von Expertise
Wie wird man die/der Beste, die/der man in seinem Sport sein kann? Durch viel Training!
Die größten (besten) Sportler – ich denke da beispielsweise an Michael Phelps oder Haile Gebrselassie – haben schon im frühen Kindesalter angefangen zu trainieren und haben immer weiter an ihren Fähigkeiten gefeilt, um immer besser zu werden. Um entsprechend immer wieder motiviert an sich selbst zu arbeiten, muss die Trainingslast so gering gehalten werden, dass sie langfristig nicht überlastet und in Folge dessen die Lust am Sport verloren geht. Ericsson et al. (1993) schlugen deshalb eine Beschränkung der Anstrengungen („effort constraint“) bei der Ausübung gezielter Trainings vor.
Mit anderen Worten: man muss sich von seinen Anstrengungen ausreichend erholen.
Was macht ihr an euren Ruhetagen?
Aktuell ist es noch so:
- Der Fokus liegt auf den Trainings, durch die wir uns verbessern
- Wettkampfergebnisse werden vom aktiven Training abgeleitet
- Training kann man besser messen als Pause
- Regeneration ist schwierig zu identifizieren, definieren und messen
- Pause an sich ist kulturell und sozial unterschätzt: für viel Hingabe und Einsatz gibt es große Wertschätzung, für Erholung nicht
Daraus ergibt sich die Frage: Wie erholt ihr euch am besten? Hört ihr gerne Musik? Entspannt ihr am besten beim Lesen oder hilft lockere Bewegung, wie eine kleine Runde Radfahren? Hilft euch Angeln oder gar Instagram, um abzuschalten? Für uns selbst können wir aus diesem Paper mitnehmen, dass Entspannung wichtig ist und wir uns die Zeit nehmen, die wir brauchen, um langfristig motiviert und einsatzbereit zu bleiben.
Trainingstagebücher sind weit verbreitet, sowohl handschriftlich als auch online. Wie wäre es aber mit einem Erholungstagebuch? Dadurch würde Erholung besser messbar gemacht. Mit diesen Daten wiederum könnten dann wissenschaftliche Modelle validiert werden.
Ein Ansatz für Forschungen könnten natürlich unsere Uhren sein, die mittlerweile quasi alles messen, so auch die Erholungszeit. Unberücksichtigt bleibt dabei jedoch die mentale Erholung. Wenn ich ans Marathontraining denke, ist die physische Vorermüdung genau das, was durch die vielen kumulierten Kilometer erreicht werden soll. Mental aber, da möchte man frisch sein.
Kurzzusammenfassung
- Erholung ist nicht nur im Sport wichtig
- Erholen muss man sich sowohl körperlich als auch geistig
- Erholung fördert das Lernen/die Weiterentwicklung
- Ab und zu nichts zu tun ist keine Faulheit, sondern insbesondere langfristig eine gute Investition
- Mehr ist nicht immer besser
Quellen:
Craig, M., Ottaway, G., & Dewar, M. (2018). Rest on it: Awake quiescence facilitates insight. Cortex, 109, 205–214.
David W. Eccles, Yannick Balk, Thomas W. Gretton & Nate Harris (2020): “The forgotten session”: Advancing research and practice concerning the psychology of rest in athletes, Journal of Applied Sport Psychology
Eccles, D. W., & Kazmier, A. (2019). The psychology of rest in athletes: An empirical study and initial model. Psychology of Sport and Exercise, 44, 90–98.
Ericsson, K. A., Krampe, R. T., & Tesch-Romer, C. (1993). The role of deliberate practice in the acquisition of expert performance. Psychological Review, 100(3), 363–406.
Hope, N. (2015). Lizzy Yarnold: Olympic skeleton champion taking year-long break.
Kellmann, M., Bertollo, M., Bosquet, L., Brink, M., Coutts, A. J., Duffield, R., Erlacher, D., Halson, S. L., Hecksteden, A., Heidari, J., Kallus, K. W., Meeusen, R., Mujika, I., Robazza, C., Skorski, S., Venter, R., & Beckmann, J. (2018). Recovery and performance in sport: Consensus statement. International Journal of Sports Physiology and Performance, 13(2), 240–245.
Meeusen, R., Duclos, M., Foster, C., Fry, A., Gleeson, M., Nieman, D., Raglin, J., Rietjens, G., Steinacker, J., Urhausen, A., & American College of Sports Medicine. (2013). Prevention, diagnosis, and treatment of the overtraining syndrome: Joint consensus statement of the European College of Sport Science and the American College of Sports Medicine. Medicine and Science in Sports and Exercise, 45(1), 186–205.
Selye, H. (1978). The stress of life. New York: McGraw-Hill.
Shea, C. H., Lai, Q., Black, C., & Park, J. H. (2000). Spacing practice sessions across days benefits learning of motor skills. Human Movement Science, 19(5), 737–760.
Sonnentag, S. (2018). The recovery paradox: Portraying the complex interplay between job stressors, lack of recovery, and poor well-being. Research in Organizational Behavior, 38, 169–185. lsdlocked0 L
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